Merz: Die (Selbst) Zerstörung der Union

Merz hat für Wahlkampf-Spielchen die Brandmauer eingerissen und sein Versprechen gebrochen, nicht mit den Faschisten zusammenarbeiten. Die jubelten gestern im Bundestag als einzige. Die Konservativen und ihre Medien versuchen uns das als Erfolg zu verkaufen. Aber Merz hat den Anfang vom Ende der letzten verbliebenen konservativen Volksparteien in Westeuropa eingeläutet. Die CDU will den gleichen… Weiterlesen Merz: Die (Selbst) Zerstörung der Union The post Merz: Die (Selbst) Zerstörung der Union appeared first on Volksverpetzer.

Jan 30, 2025 - 20:34
 0
Merz: Die (Selbst) Zerstörung der Union

Merz hat für Wahlkampf-Spielchen die Brandmauer eingerissen und sein Versprechen gebrochen, nicht mit den Faschisten zusammenarbeiten. Die jubelten gestern im Bundestag als einzige. Die Konservativen und ihre Medien versuchen uns das als Erfolg zu verkaufen. Aber Merz hat den Anfang vom Ende der letzten verbliebenen konservativen Volksparteien in Westeuropa eingeläutet. Die CDU will den gleichen Weg gehen wie die Forza Italia, die VVD oder die ÖVP – als schwacher Juniorpartner und Mehrheitsbeschaffer für Rechtsextreme.

So sehr schadet Merz der CDU

Die CDU ist eine der letzten verbliebenen konservativen Volksparteien in Westeuropa. In fast allen anderen Ländern wurde sie mittlerweile von den Rechtsextremisten eingeholt oder überholt. Eine Übersicht:

In Italien ist die Forza Italia Juniorpartner der rechtsextremen Partei von Giorgia Meloni. In Österreich wird die ÖVP (EVP) gerade Juniorpartner der rechtsextremen FPÖ. Und in den Niederlanden ist die VVD Juniorpartner der Rechtsextremisten von Geert Wilders. In Frankreich spielen Konservative bei Präsidentschaftswahlen kaum noch eine Rolle

Einzig in Spanien gibt es noch eine konservative Partei, die stärker ist als die Rechtsextremisten. Doch als vor der letzten Wahl die Konservativen eine Koalition mit den Rechtsextremen ins Gespräch brachten, gewannen sie bei der Wahl weniger Stimmen als erhofft und stellen nun nicht den Ministerpräsidenten. Diesen stellen nun die Sozialisten, die zuvor in Umfragen abgeschlagen waren. In Großbritannien überholt die rechtspopulistische “Reform UK” gerade die Tories in den Umfragen, was beim dortigen Wahlrecht der Zerstörung der Partei gleichkommt. 

Und alle diese Konservativen haben den gleichen Fehler gemacht: Sie haben sich rhetorisch, insbesondere in der Migrationspolitik, nicht von den Rechtsextremisten abgegrenzt. Sie haben die Forderungen und Feindbilder der Rechtsextremen übernommen und damit legitimiert. Sie konnten aber nicht erklären: Was ist eigentlich konservativ, abgesehen von der gleichen populistischen Migrationspolitik, wie es die extremen Rechten haben? Denn die kann man ja in “strenger” auch von den Rechtsextremisten haben. Sie haben alle geglaubt, sie könnten die extremen Rechten schwächen, indem sie sie kopieren.

Es gibt also gleich mehrere europäische Länder, die Friedrich Merz zeigen sollten, wohin sein aktueller Kurs führt. Wir alle wissen ganz genau, wohin das führen wird. Die Wissenschaft warnt seit Jahren eindringlich davor, dass die Union den gleichen Weg gehen wird. Nur die Union will es stur trotzdem versuchen. Merz hatte einst angekündigt, die AfD zu halbieren. Mit dieser Politik wird er mittelfristig die Union halbieren.

Nicht erfüllbare Erwartungen

Die Strategie von Merz sieht so aus: Merz wollte der AfD das Migrationsthema nach Aschaffenburg nicht überlassen. Die Logik geht so: Es wäre so oder so darüber diskutiert worden. Und es ist besser, wenn Merz das federführend tut als die Faschisten. Im Antrag der Union, der gestern mit den Stimmen der AfD beschlossen wurde, sieht man das Ausmaß der Zwickmühle, die das Migrationsthema für die Union hat. 

Denn: Die Union hat jetzt einen vom Bundestag beschlossenen Antrag an der Backe, den sie, wenn überhaupt, nur in einer Koalition mit der AfD durchsetzen kann, und selbst das ist zweifelhaft. Denn: Er verstößt gegen das Europarecht, ist reine Symbolpolitik und wäre nicht mal geeignet, die Migration nach Deutschland zu reduzieren, was sich ja so viele AfD- und CDU-Politiker wünschen. Das werden wir im Folgenden auch mit Quellen belegen.  

Das heißt, Merz zündet ein kurzfristiges Strohfeuer an, das so oder so nicht einmal das bringen wird, was es angeblich soll. Und das langfristig auf jeden Fall die AfD stärken wird. Geht Merz keine Koalition mit der AfD ein, wird die AfD auf der Erfüllung des Antrags beharren.

Zurückweisungen gibt es schon

Der gestern beschlossene Antrag verstößt gegen Europarecht, das belegt eine Anfrage von Erik Marquardt (MdEP Grüne) an die von Ursula Leyen (CDU) geführte EU-Kommission. Denn er fordert pauschale Zurückweisungen an der Grenze ohne Einzelfallprüfung. Auf die Einzelfallprüfung zu verzichten, verstößt noch dazu gegen die Verfassung.

Die Vorschläge von Merz und der CDU sind für EU-Mitglieder rechtlich nicht zulässig. Das hat mir die EU-Kommission unter auf eine schriftliche Frage mitgeteilt.Mit diesem Vorstoß greifen CDU/CSU die EU frontal an. Sie verabschieden sich aus dem Verbund der pro-europäischen Parteien.— Erik Marquardt (@erik-marquardt.eu) 2025-01-28T15:09:01.895Z

Es liegt genau dazu auch bereits ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vor. 

Hier ist zu erklären: Es ist rechtlich zulässig, Asylbewerber in das Land zurückzuschicken, in denen sie zuerst registriert worden sind, das geschieht aber nicht über Zurückweisungen an der Grenze, sondern regulär über das EU-Asylsystem. Es ist aber nur zulässig, wenn die Menschenwürde der Geflüchteten gewahrt bleibt, das steht auch in Artikel 16a (Absatz 2) und Artikel 1 Grundgesetz. Wenn andere EU-Staaten völlig überlastet sind, ist das nicht gewährleistet.

Dies zeigt ein Urteil aus dem Jahr 2022. Das Oberverwaltungsgericht schrieb, als ein syrischer Geflüchteter gegen seine Dublin-Abschiebung nach Griechenland klagte: 

“Gegenwärtig würde eine Abschiebung der Betroffenen nach Griechenland daher das Verbot des Art. 3 der Konvention vom 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) beziehungsweise gegen den § 4 der Europäischen Grundrechtecharta (GRCh) verletzen.” 

Reformen wurden bereits beschlossen

Es gab im ersten Halbjahr 2024 36.795 Übernahmegesuche nach der Dublin-Verordnung, von denen 21.314 angenommen wurden. 3.043 Menschen wurden überstellt. Warum so wenige? Besonders rechtsextrem regierte Länder machen die Überstellung hier oft unmöglich. Italiens Meloni nahm nur 3 Geflüchtete zurück, nachdem 10.000 Rücknahme-Gesuche positiv beschieden wurden. Das wird sich in Zukunft wahrscheinlich ändern: Bis nächstes Jahr müssen die EU Staaten die GEAS umsetzen, die die Überstellungen in anderen EU-Ländern erleichtern. Ja, es gab bereits die geforderten Reformen, die jetzt umgesetzt werden. 

Es ist auch zulässig, Menschen, die nicht aus Asyl-Gründen einreisen, an der Grenze zurückzuweisen. Das wird auch gemacht, das waren im 1. Halbjahr 2024 21.661 Personen. Mittlerweile wird mehr als die Hälfte der an der Grenze registrierten Einreisen ohne Aufenthaltsberechtigung wieder zurückgewiesen

Doch eine pauschale Zurückweisung aller Asylsuchenden an der deutschen Grenze verstößt gegen das individuelle Grundrecht auf Asyl. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben das Recht auf Asyl aus gutem Grund als individuell einklagbares Grundrecht institutionalisiert. Gerade im Hinblick auf die Erfahrungen aus der Nazi-Zeit, als die Weltgemeinschaft dramatisch versagte beim Schutz der Menschen, die aus Nazi-Deutschland fliehen mussten, ist es erschreckend, wie egal Friedrich Merz diese Lehren aus der eigenen Geschichte sind. Genau wegen dieser Erfahrungen ist das Recht auf Asyl in unserer Verfassung verankert und sollte nicht mit Füßen getreten werden.

Grenzkontrollen bringen wenig und kosten viel

Auch gab es im ersten Halbjahr 2024 115.682 Asylanträge. Übrigens viel weniger als im Vorjahr und weit unter dem Niveau von 2015 und 2016. Hier wird auch klar, dass der Großteil der Asylbewerber gar nicht an der Grenze aufgegriffen werden. Bei zunehmenden Zurückweisungen an der Grenze würden vermutlich mehr Migranten einfach über die “Grüne Grenze” reisen, anstatt über die Checkpoints der Polizei. Gleichzeitig würden Zurückweisungen das EU-Asylsystem beschädigen, dadurch setzt der Antrag von Merz die Dublin-Abschiebungen und die gerade erst beschlossenen Gesetze für Verteilungen in der EU aufs Spiel. 

Es ist einfach so: Es führt kein Weg daran vorbei, Migrations-Fragen auf EU-Ebene zu lösen. Oder eben durch einen vollständig überwachten 1400 Kilometer langem Grenzzaun um Deutschland, den niemand bezahlen will. Friedrich Merz schürt also Erwartungen, die er auf diesem Weg nicht erfüllen kann.

Bereits die aktuellen Grenzkontrollen dürften laut einer Studie übrigens die deutsche Wirtschaft 11,5 Mrd. € kosten, also etwa so viel wie das prognostizierte Wirtschaftswachstum dieses Jahres. Die andauernde Verlängerung von deutschen Grenzkontrollen stört auch unsere europäischen Nachbarn immer mehr. Luxemburg droht, Einspruch bei der Europäischen Kommission einzulegen, sollte Deutschland eine Verlängerung der bereits bestehenden Kontrollen beantragen. 

Abschiebehaft gibt es schon 

Friedrich Merz möchte alle Personen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, in Haft nehmen. In Deutschland sind 42.300 Menschen unmittelbar ausreisepflichtig, haben also keine Duldung. Davon sind 17.583 Menschen (!) (s. Bundestag, S. 23) abgelehnte Asylbewerber. Zum Vergleich: Aktuell gibt es in Deutschland 44.000 Menschen in Strafgefangenschaft. Ein Platz in der Abschiebehaft kostet pro Tag (!) übrigens 455,28 €. Das zeigt schon, dass die Forderung in der jetzigen Form ziemlich absurd ist – die Infrastruktur ist schlicht nicht vorhanden und immens teuer. 

Wer keinen Aufenthaltsgrund mehr hat, bekommt normalerweise eine Frist, um freiwillig auszureisen. Wer ausreisepflichtig ist, braucht Gelegenheit, sich Papiere für die Ausreise zu besorgen. Ohne Papiere ist auch keine Abschiebung möglich.

Erst nach dieser Frist wird für gewöhnlich eine Abschiebung angeordnet. Bereits jetzt ist es den (oft CDU geführten) Ländern möglich, hier Personen in Abschiebehaft zu nehmen, wenn die Abschiebung ansonsten erschwert würde. 

Im Zuge des Rückführungs-Verbesserungsgesetzes (im Februar 2024 in Kraft getreten), wurde die Abschiebehaft bereits von möglichen 10 Tagen auf ganze 4 Wochen verlängert. Abschiebungshaft darf nur dann erfolgen, wenn dies notwendig ist, um die Abschiebung durchzusetzen und das muss individuell von einem deutschen Gericht geprüft werden. Eine pauschale Abschiebehaft für die vollziehbar Ausreisepflichtigen ist daher ebenso sehr wahrscheinlich rechtswidrig.

Der Vorschlag von Merz ist also erstens nur schwer umsetzbar, da es gar nicht genug Haftplätze gibt. Sein Ziel erreicht er auch nicht, denn Fristen, z.B. für die Beschaffung von Papieren und anderen Botschafts-Besuchen gibt es ja nicht ohne Grund. Also was soll dieser ganze Zirkus mit diesem Antrag? Warum sein Versprechen brechen, nicht Mehrheiten mit den Rechtsextremen zu beschaffen – und dann nur für eine reine Show?

Union muss sich von der AfD abgrenzen

Bisher konnte die Union sagen: Wir sind zwar auch für strengere Asylpolitik, aber im Gegensatz zur AfD haben wir Vorschläge, die tatsächlich umsetzbar und gesetzeskonform sind. Nach dem Motto: “Während die Radikalen nur laut tönen mit Scheinlösungen, aber haben wir die Expertise und den Sachverstand, echte Lösungen anzubieten.” So hat es übrigens Merkel gemacht, mit dem EU-Türkei-Abkommen, das stark kritisiert wurde, aber eben eine rechtskonforme Reduzierung der Migration mit sich brachte.  

Jetzt beschließt Merz mit den Stimmen der AfD einen Antrag, der genau solche teils rechtswidrigen Scheinlösungen beinhaltet. Es ist ein kompliziertes Thema und natürlich funktioniert das an manchem Stammtisch gut. Aber die Frage, die bleibt: Wo ist nun die Abgrenzung zur AfD?

Im März möchte Merz Kanzler werden. Das kann er Stand jetzt entweder mit den Stimmen der AfD oder mit SPD und/oder Grünen. Nur wird er mit SPD und Grünen Scheinlösungen nicht durchsetzen können. Nicht, nachdem er die Brandmauer eingerissen hat, nach dem er erfolglos versucht hatte, sie zu erpressen. Die AfD hat mit dem Antrag nun ein Druckmittel gegen Merz in der Hand, welches sie in der kommenden Legislaturperiode genüsslich ausspielen wird. 

Merz hat die Union in eine Sackgasse manövriert. Er muss jetzt entweder den demokratischen Konsens verraten und mit den Faschisten eine Regierung bilden – etwas, dass man ihm trotz gegenteiliger Versicherungen jetzt nicht mehr glauben kann – oder eingestehen, dass die Konservativen nicht das liefern können, was die AfD verspricht. Er wird entweder die Demokraten oder die Rechtsextremen verraten, wahrscheinlich sogar beide. Es ist der Anfang vom Ende der christdemokratischen Partei in Deutschland, die sehenden Auges den gleichen Weg geht wie ihre Schwesterparteien in ganz Europa: In die Selbstzerstörung.

Michael Kappeler/dpa

The post Merz: Die (Selbst) Zerstörung der Union appeared first on Volksverpetzer.