Interview: "Alkohol verstärkt die Symptome der Wechseljahre"
Mal einen trockenen Monat schaffen oder die Fastenzeit ohne Alkohol auskommen? Wir haben mit einem Suchtexperten darüber gesprochen, was es für Vorteile birgt, wenn Frauen ihre Trinkgewohnheiten hinterfragen.
Mal einen trockenen Monat schaffen oder die Fastenzeit ohne Alkohol auskommen? Wir haben mit einem Suchtexperten darüber gesprochen, was es für Vorteile birgt, wenn Frauen ihre Trinkgewohnheiten hinterfragen.
Frauen trinken aus anderen Gründen als Männer – und mit anderen Folgen. Die sind nicht ohne. Infolge des aktuellen Forschungsstandes bestätigt auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE): So etwas wie einen risikofreien Alkoholkonsum gibt es nicht.
Was Alkohol speziell im weiblichen Körper anrichtet und warum die Wechseljahre eine gute Gelegenheit sind, sich kritisch mit dem eigenen Alkoholkonsum auseinanderzusetzen, darüber hat BRIGITTE mit einem ausgewiesenen Suchtexperten gesprochen. Prof. Dr. Falk Kiefer ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, Inhaber des Lehrstuhls für Suchtforschung der Universität Heidelberg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie.
BRIGITTE: Alkohol zu konsumieren ist, wie wir heute wissen, nie eine gute Idee. Warum sollten sich gerade Frauen in den Wechseljahren mit ihrem Trinkverhalten auseinandersetzen?
Prof. Dr. Falk Kiefer: Die Wechseljahre gehen ohnehin oft mit sozialen Veränderungen einher. Die Kinder verlassen das Haus, die Partnerschaft verändert sich oder die beruflichen Anforderungen – damit sind sie ein Risikozeitraum für eine Veränderung des Alkoholkonsums. Deshalb ist es in dieser Lebensphase so wichtig, nicht unbedacht in einen erhöhten Alkoholkonsum hineinzurutschen, sondern den eigenen Alkoholkonsum kritisch zu beobachten und ein Aus-dem-Ruder-laufen zu verhindern.
Trinken wird also riskanter?
Frauen, die gelegentlich trinken, machen die Erfahrung, dass Alkohol eine beruhigende, dämpfende Wirkung hat, die innere Unruhe begrenzen und gegebenenfalls schlafanstoßend wirken kann. Wechseljahresbeschwerden gehen oft mit Symptomen einher, bei denen man also denken könnte, Alkohol hilft. Leider ist es aber so, dass Alkohol, wenn er regelmäßig getrunken wird, diese Symptome verstärkt. Alkohol zerstört den Schlafrhythmus, macht innerlich unruhig und erhöht das Risiko für depressive Verstimmungen.
Warum ist das so, was passiert da im Körper?
Alkohol greift in verschiedene wichtige Regulationsprozesse ein. Über seine zentrale Wirkung im Gehirn beruhigt Alkohol, dämpft und löst Ängste. Dummerweise adaptiert das Gehirn sehr schnell, sodass die Alkoholwirkung nachlässt bzw. im Gegenteil ohne Alkohol immer mehr Unruhe und Ängstlichkeit entstehen. Alkohol wirkt auf den Schlafrhythmus mit ausgeprägten Auswirkungen auf die Befindlichkeit am Tag danach. Außerdem greift Alkohol auch stark in das Hormonsystem ein, insbesondere in die Stress- und auf die Sexualhormone.
Was macht Alkohol mit den Hormonen?
Es gibt keine einfache Dosis-Wirkungsbeziehung zwischen Alkohol- und Östrogenkonzentration. Aber Alkohol bringt den Hormonhaushalt durcheinander und beeinträchtigt zum Beispiel die Östrogenproduktion in den Eierstöcken. Das kann sich dadurch bemerkbar machen, dass die Regelblutung ausbleibt, zu selten, zu stark oder zu lange auftritt
Sie sagen, Alkohol verstärkt die Wechseljahresbeschwerden. Heißt das, Abstinente könnten ohne Behandlung wie die Hormonersatztherapie auskommen?
Die Entscheidung über eine Hormonersatztherapie sollte individuell im Gespräch mit einer Gynäkologin besprochen werden, hier geht es um eine Nutzen-Risiko-Abwägung, bei der persönliches Befinden und Gesundheit eine zentrale Rolle spielen. Gut untersucht ist, dass Lebensstilfaktoren das Ausmaß der Wechseljahresbeschwerden beeinflussen können, zum Beispiel die Ernährung, Alkohol und Nikotinkonsum, Aktivität und Schlaf.
Trinken Frauen im mittleren Lebensalter eigentlich anders als jüngere Frauen?
Alkohol wird in unterschiedlichen Lebensphase mit unterschiedlichen Funktionalitäten, also Wirkungserwartungen konsumiert. Ältere Menschen trinken zum Beispiel häufig, um sich weniger einsam zu fühlen, junge Menschen häufiger, um ihre sozialen Hemmungen zu reduzieren und partytauglicher zu sein. Im mittleren Lebensalter können andere Motive hinzukommen, zum Beispiel die Stressreduktion oder das vermeintliche Abschalten von Sorgen oder Frust. Auch depressive Verstimmungen können in dieser Lebensphase Alkoholkonsum motivieren, auch wenn der nicht hilft, im Gegenteil sogar schadet.
Ist es für Frauen vor allem in der heißen Phase der Wechseljahre ratsam, nicht zu trinken? Und wenn die Symptome in der Postmenopause langsam wieder abflauen, ist der Verzicht weniger entscheidend?
In der Postmenopause sind die oben genannten Gründe oft nicht mehr die Ursache für den Alkoholkonsum und die Auswirkungen des Trinkens ändern sich. Natürlich ist es trotzdem nicht ratsam, den Alkoholkonsum danach zu steigern, weil andere Faktoren eine große Rolle spielen. Alkohol stört zum Beispiel den Kalziumstoffwechsel, der ohnehin in der Postmenopause aufgrund der verminderten Östrogenproduktion beeinträchtigt ist. In Kombination mit Alkohol erhöht sich also das Osteoporoserisiko. Leider trägt auch Alkoholkonsum auch zu einem erhöhten Brustkrebsrisiko bei. Eine Vielzahl weiterer Erkrankungen, für die im höheren Alter ein gesteigertes Risiko besteht und auch ungünstige Wechselwirkungen zwischen einer Vielzahl von Medikamenten und Alkohol sprechen für sich.
Wann wird aus einem problematischen Trinkverhalten eine Sucht? Steigt die Zahl der Suchterkrankungen bei Frauen in dem Alter an?
Die meisten Menschen, die in ihrer Jugend Alkohol kennengelernt haben, entwickeln erst einmal eine Vorliebe für den Konsum in bestimmten Situationen, aber noch keine Sucht. Häufig braucht es Umgebungsfaktoren, um den Konsum so zu steigern, dass er regelmäßig wird und sich eine Sucht entwickeln kann. Das Spektrum ist breit. Von Einsamkeit bis zu beruflicher Überforderung, von ängstlichem Rückzug bis zu exzessivem Partyverhalten. Von daher hat jede Lebensphase ihre Risiken – und in der Perimenopause sind es beispielsweise die genannten hormonellen Veränderungen und psychischen Befindlichkeitsstörungen. Da es aber auch viele Frauen in der Perimenopause gibt, die ihr Gesundheitsverhalten verbessern und bewusst weniger trinken, lässt sich eine pauschale Aussage nicht treffen.
Was können Frauen tun, um sich daraus zu befreien? Gibt es eine Strategie, die Sie betroffenen Frauen raten würden, die sich als hilfreich gezeigt hat?
Im Umgang mit Alkohol ist es immer eine gute Strategie, sich den eigenen Konsum bewusst zu machen, offen damit umzugehen und das eigene Verhalten zu hinterfragen. Es kann auch hilfreich sein, einen Monat keinen Alkohol zu trinken und zu vergleichen, ob sich an Stimmung, am Schlaf an körperlichen Symptomen etwas verändert. In dieser Phase kann es auch gut sein, nach Dingen im eigenem Umfeld Ausschau zu halten, die einem seelisch und körperlich guttun. Wenn man ein Problem in seinem Alkoholkonsum sieht und es dennoch nicht schafft, sich zu verändern, sollte man sich Hilfe holen. Hierfür stehen Suchtberatungsstellen, Selbsthilfegruppen, niedergelassene Ärztinnen und Ärzte aber auch Suchtkliniken zur Verfügung.
Fällt es schwerer mit dem Trinken aufzuhören, wenn man älter ist?
Auf der einen Seite ist es im Alter schwerer, sein Trinkverhalten zu verändern, weil man es sich über mehrere Jahre angewöhnt hat. Das Verhalten ist also tiefer eingeschliffen und Verhaltensänderungen fallen im Alter grundsätzlich nicht leichter. Auf der anderen Seite ist es tatsächlich so, dass sich ältere Menschen häufig unabhängiger von den äußeren Erwartungen machen und sich mehr auf ihre eigenen Ziele, aber auch ihre Gesundheit konzentrieren. Diese kann dazu führen, den Alkohol kritisch zu hinterfragen und weniger Alkohol zu konsumieren. Auch die geringere Alkoholverträglichkeit im Alter trägt dazu bei, dass ältere Menschen oft weniger trinken als sie dies in ihren jüngeren Jahren getan haben.
Hilft es schon, weniger zu trinken? Oder muss es die völlige Abstinenz sein, um von gesundheitlichen Vorteilen zu profitieren?
Jedes Glas Wein oder Bier, das man nicht trinkt, hat einen gesundheitsfördernden Effekt. Es wäre also nicht gut, zu warten, bis man eine Abhängigkeit hat, um dann eine Radikalkur durchzuziehen. Wenn man für sich entscheidet, keinen Alkohol zu trinken, ist dies eine optimale Gesundheitsentscheidung – aber wenn man sich entscheidet, weniger zu trinken als bisher, ist auch dies ein Schritt in die richtige Richtung. Es ist einfach gut, dass selbstverständliche, regelmäßige Trinken zu hinterfragen und dann zu trinken, wenn man sich bewusst dafür entscheidet, statt einer eingefleischten Angewohnheit zu folgen. Denn dann trinkt man zu viel mit allen Folgen für die körperliche und seelische Gesundheit.