Asylrecht: Für einen Bundeskanzler war das eine Bankrotterklärung

Mit Hilfe der AfD hat die Union ein schärferes Asylrecht beantragt. Ist die Schuldfrage leicht zu beantworten? Wer das Problem erkennen will, musste Olaf Scholz zuhören

Jan 29, 2025 - 21:24
 0
Asylrecht: Für einen Bundeskanzler war das eine Bankrotterklärung

Mit Hilfe der AfD hat die Union ein schärferes Asylrecht beantragt. Ist die Schuldfrage leicht zu beantworten? Wer das Problem erkennen will, musste Olaf Scholz zuhören

Nun ist es passiert. Erstmals hat die AfD entscheidende Stimmen in einer Bundestagsabstimmung geliefert. Die Union, die damit ihren Antrag zur Migrationspolitik durchgesetzt hat, wirkt zerknirscht. SPD und Grüne wüten. Aber ist die Schuldfrage so einfach zu beantworten? Wer die Debatte im Bundestag verfolgt hat, erkennt: Auch die bisherigen Regierungsparteien tragen Verantwortung.

Die erste, stille Minute in dieser Bundestagsdebatte war den Opfern von Aschaffenburg und Magdeburg gewidmet. Dann sprach Bundeskanzler Olaf Scholz, fast dreißig Minuten lang. Der Kanzler, der gesagt hatte, auch er sei die Gewalttaten durch Asylbewerber leid. Doch in keiner einzigen Minute seiner Rede erklärte er, was sich jetzt eigentlich ändern soll. Sein Schweigen dazu gab die Antwort: nichts.

Wegen der AfD: Olaf Scholz arbeitet sich an Merz ab

Stattdessen überzog Scholz seinen Kontrahenten Friedrich Merz mit Unterstellungen über künftige blau-schwarze Koalitionen, arbeitete sich in seiner Rede ab an Landesbehörden und Kommunen. Allerdings vergaß er dabei zu erwähnen, dass deren Fehler auch Folge einer maßgeblich von Sozialdemokraten gestalteten Flüchtlingspolitik sind – und das Bundesamt für Migration unter Kontrolle seiner Parteifreundin Nancy Faeser steht. Kein Wort zur Überlastung der Behörden, schon gar kein Dank an die dort arbeitenden Mitarbeiter.

Dann zählte der Sozialdemokrat einige wirkliche und viele angebliche Erfolge seiner Bundesregierung in der Asylpolitik auf. Alles halb so schlimm, soll der Zuhörer wohl denken. Dazu noch der Verweis auf die in einigen Jahren (hoffentlich) anstehende EU-Asylrechtsreform. Für einen Wahlkämpfer mag das reichen. Für den amtierenden Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland ist es ungenügend. Das Vortragen von Anklagen sollten Kanzler den Bürgern überlassen.27-01-25 Notenbanken

„Es reicht“, sagte Scholz selbst nach der schrecklichen Bluttat von Aschaffenburg. Und nun? Wenn einem x-beliebigen Politiker auf diesen Satz wenig mehr einfällt, als den Volkszorn – teils wahrheitswidrig – auf Behördenmitarbeiter zu lenken, kommt das einem Eingeständnis der eigenen Rat- und Ideenlosigkeit gleich. Für einen Bundeskanzler war es eine Bankrotterklärung. Wer kann es Menschen verübeln, wenn sie sich nach Alternativen umschauen, wenn auf „Es reicht“ nichts folgt? 

Friedrich Merz hat einen schweren Fehler begangen

Friedrich Merz, der CDU-Kandidat, hatte das richtig erkannt: Man muss Lösungen anbieten. Merz warf deshalb nach Aschaffenburg seine bisherige Wahlstrategie um, will das Asylsystem nun radikal und bis an die Grenze des Machbaren verändern. Vielleicht sogar darüber hinaus. Und dann begann das Unheil: Erst versprach er, das als nächster Kanzler umsetzen, dann hatte er es plötzlich eilig damit, seine Anträge noch in dieser Woche zur Abstimmung zu stellen – und sich so dem Spiel der AfD und einer völlig überflüssigen „Brandmauer“-Debatte auszuliefern.

Jetzt reden alle wieder über die AfD, statt über die Opfer der Anschläge oder darüber, wie sich weitere verhindern lassen. Merz hat Scholz so den größten Gefallen getan. 

Dieser Schritt war ein schwerer Fehler. Punkt. Ja, am Ende mag ihm das riskante Manöver kurzfristig vielleicht Wählerstimmen bringen (nicht einmal das ist sicher), langfristig schadet es aber der Kompromissfähigkeit der politischen Mitte, der politischen Kultur und stärkt die AfD. Merz hat so ohne Not einen Präzedenzfall geschaffen, der Nachahmer finden wird. Im Osten der Republik macht er es seinen Leuten noch schwerer, Flirts der AfD abzuwehren. All das in einer Situation, in der er selbst wohl nur Wochen später mit eigener Mehrheit hätte Fakten schaffen können. 

Zudem verdeckt die Brandmauer-Debatte die ganze Sprachlosigkeit von Olaf Scholz, der seine Redezeit stattdessen mit nicht gänzlich verkehrten Anwürfen gegen Merz füllen konnte. Jetzt reden alle wieder über die AfD, statt über die Opfer der Anschläge oder darüber, wie sich weitere verhindern lassen. Merz hat Scholz so den größten Gefallen getan. 

Aschaffenburg und Co. stehen für das Versagen der deutschen Asylpolitik

Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg. Die Namen dieser Städte sind vier von vielen deutschen Orten, die für die Überforderung Deutschlands mit der Versorgung von Millionen Schutzsuchenden und Armutsmigranten stehen. Natürlich hat Deutschland viele Asylbewerber gut integriert, sind Hunderttausende hier angekommen. Zehntausende Asylbewerber vegetieren inzwischen aber in Unterkünften, unter unwürdigen Zuständen. Andere dürfen nicht arbeiten, obwohl sie gern würden, stecken ohne Hoffnung im europäischen Asylrechtschaos fest. Wieder andere ziehen als Gesetzlose durchs Land, obwohl sie niemals hier sein dürften. Es sind nicht ein paar Dutzend, es sind Zehntausende.

Nein, es fehlt meist nicht am Willen oder am Geld. Deutschland hat so viel für Flüchtlingsschutz getan, wie kein anderes europäisches Land. Es fehlt inzwischen schlicht am Personal, an Betten. Nicht nur hier und da, in der Fläche. Die Attentate fressen dazu die Langmut der Bevölkerung auf, übrigens auch unter Migranten. Man kann ähnliche Einschätzungen von Behördenmitarbeitern, Bürgermeistern, Landräten und Ministerpräsidenten erhalten – egal, ob von Linkspartei oder CDU.

Nur was auf diese Erkenntnis folgt, wird in Deutschland vor allem von konservativer Seite diskutiert – die Antwort lautet dort: reine Abschottung. SPD und Grüne lassen sich – meist unter Schmerzen – in diese Richtung treiben, würden aber lieber kaum über die Probleme reden. Solange links der Mitte aber keine eigene Antwort formuliert wird, keine Idee, werden sich die Menschen hinter den Abschottungsideen versammeln – oder schlimmstenfalls zur radikalen AfD abwandern.ww passives Einkommen

Es gibt eine politische und demoskopische Mehrheit im Land für eine härtere Asylpolitik, vor allem für eine stärkere Begrenzung der Migration. Genutzt werden darf sie nicht. Andere Ideen gibt es kaum. Wie lange hält eine Gesellschaft das aus? Die Antwort der Union: nicht mehr lange. Auch das hat Merz zu seinem tollkühnen Plan getrieben.

Es muss ja nicht gleich die Festung Europa sein

Der Bundeskanzler hätte seine Rede deshalb nutzen sollen, ja, müssen, für eine sozialdemokratische Vision einer Flüchtlingspolitik, die funktioniert – für die Menschen hier und jene, die Schutz suchen. Olaf Scholz hat sie stattdessen für seinen Wahlkampf genutzt. Für sich. Robert Habeck, der grüne Kandidat, zeigte mit seiner Rede, dass es auch anders geht. 

Nein, auf „Es reicht“ muss nicht unbedingt die „Festung Europa“ folgen, aber irgendwas eben schon. Olaf Scholz hat in seiner Regierungserklärung stattdessen bewiesen, dass er erklären kann, was alles nicht geht. Der nächste Kanzler sollte wieder erklären können, was geht. Nur so besteht die demokratische Mitte. Sie muss trotz des Aufruhrs am Mittwoch im Bundestag wieder zueinander finden. Muss.

Dieser Artikel ist eine Übernahme des Stern, der wie Capital zu RTL Deutschland gehört. Auf Capital.de wird er zehn Tage hier aufrufbar sein. Danach finden Sie ihn auf www.stern.de.