Warum das Argument, man müsse in sozialen Netzwerken bleiben, um Opposition zu leisten, völliger Unsinn ist

Das Argument, man könne Plattformen wie X oder TikTok nicht verlassen, weil es sonst an »Widerspruch« und »Opposition« fehle, ist aus mehreren Gründen nicht haltbar – es ist schlicht völliger Bullshit. Es beruht auf einer falschen Annahme darüber, wie diese Plattformen funktionieren und welche Auswirkungen die eigene Präsenz dort tatsächlich hat. 1. Der Mythos der […]

Jan 31, 2025 - 22:41
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Warum das Argument, man müsse in sozialen Netzwerken bleiben, um Opposition zu leisten, völliger Unsinn ist

Leave X | TikTokDas Argument, man könne Plattformen wie X oder TikTok nicht verlassen, weil es sonst an »Widerspruch« und »Opposition« fehle, ist aus mehreren Gründen nicht haltbar – es ist schlicht völliger Bullshit. Es beruht auf einer falschen Annahme darüber, wie diese Plattformen funktionieren und welche Auswirkungen die eigene Präsenz dort tatsächlich hat.

1. Der Mythos der »notwendigen Opposition«

Die Vorstellung, dass Desinformation und Hass nur durch direkte Gegenrede auf diesen Plattformen bekämpft werden können, setzt voraus, dass dort ein echter, fairer Diskurs stattfindet. Doch genau das ist nicht der Fall. Die Algorithmen dieser Plattformen sind darauf optimiert, Engagement/Aufmerksamkeit zu maximieren – und das geschieht am effektivsten durch Polarisierung, Wut und Kontroverse. Opposition wird nicht deshalb verstärkt, weil sie besonders effektiv wäre, sondern weil sie Konflikte erzeugt, die mehr Interaktion auslösen.

Mit anderen Worten: Wer auf diesen Plattformen gegen Desinformation argumentiert, trägt paradoxerweise dazu bei, dass genau diese Inhalte weiter verbreitet werden. Widerspruch wird nicht als Korrektiv behandelt, sondern als Treibstoff für die Verbreitung von Desinformation.

2. Der Einfluss des Algorithmus: Keine neutrale Bühne

Die Plattformen sind keine neutralen Orte, an denen sich »gute« und »schlechte« Argumente einfach begegnen und ausdiskutiert werden. Sie sind gewinnorientierte Unternehmen, die den Algorithmus gezielt darauf ausrichten, das zu verstärken, was Interaktion auslöst – und das sind oft extreme, polarisierende und emotional aufgeladene Inhalte.

Selbst wenn jemand »dagegenhält«, sorgt allein die Auseinandersetzung dafür, dass der Algorithmus den ursprünglichen Beitrag als relevant einstuft und ihn an noch mehr Nutzer ausspielt. Man verstärkt also die Reichweite der Inhalte, die man eigentlich ablehnt.

3. Kapituliert man wirklich, wenn man geht?

Ein weiteres verbreitetes Missverständnis ist die Annahme, dass das Verlassen solcher Plattformen eine Art Kapitulation sei – ein Eingeständnis, dass der Hass gewonnen hat. Das Gegenteil ist der Fall. Wer bleibt, spielt nach den Regeln der Plattformbetreiber und füttert ihr Geschäftsmodell mit Aufmerksamkeit und Daten. Wer geht, entzieht ihnen diese Ressource.

Wirklich sinnvolle Opposition entsteht nicht innerhalb einer Umgebung, die von Grund auf manipulativ ist, sondern dort, wo Menschen selbstbestimmt kommunizieren können. Das Fediverse oder andere dezentrale Plattformen bieten dafür bessere Voraussetzungen, weil sie nicht auf Profit durch Empörungs-Engagement angewiesen sind.

4. Fazit: Die einzig gewinnbringende Strategie ist der Verzicht

Die Vorstellung, dass Opposition auf X oder TikTok unverzichtbar sei, basiert auf einem grundlegenden Missverständnis der Funktionsweise dieser Plattformen. Man stärkt das, was man bekämpfen will. Statt weiter gegen einen manipulativen Algorithmus anzukämpfen, ist es langfristig wirksamer, Alternativen zu nutzen, die echte Diskurse ermöglichen – und damit den Einfluss der Plattformen zu reduzieren, anstatt ihn ungewollt weiter zu fördern.

Sobald Politik und Medien aufhören, diese Plattformen zu bespielen und sie nicht mehr als relevant einstufen, entziehen sie den Betreibern ihre wichtigste Ressource: Aufmerksamkeit. Ohne diese Aufmerksamkeit fehlt die Grundlage für die Aktivität und das Engagement auf den Plattformen. Der Algorithmus, der auf ständige Interaktion angewiesen ist, verliert dadurch seine treibende Kraft und kann nicht mehr so effektiv Inhalte verbreiten. Indem man sich aus diesem System zurückzieht, verringert man die Reichweite der Plattformen und schwächt ihr Geschäftsmodell erheblich.

Das Problem ist, dass viele Menschen das nicht erkennen und weiterhin unbewusst Teil dieses Systems bleiben. Sie denken, ihre Präsenz auf den Plattformen sei notwendig, um gegen Desinformation vorzugehen oder ihre Meinung zu verbreiten – ohne zu merken, dass sie genau das tun, was der Algorithmus und die Tech-Bros beabsichtigen. Indem sie weiterhin interagieren, kommentieren und teilen, stärken sie das System, das sie eigentlich ablehnen. Sie tragen zur Verbreitung von Inhalten bei, die das Geschäftsmodell der Plattformen unterstützen, anstatt es zu schwächen. Dieser Teufelskreis kann nur durch einen bewussten Rückzug und das Entziehen der Aufmerksamkeit durchbrochen werden. Doch solange viele weiterhin glauben, dass ihre Präsenz und Aktivität auf diesen Plattformen »wichtig« sind, bleibt das System am Laufen.