Vor 125 Jahren: Streit im Wirtshaus: Wie die Gründung des DFB fast gescheitert wäre

Im Januar 1900 treffen sich in Leipzig Vertreter der jungen Sportart Fußball, um eine revolutionär neue Organisation zu erschaffen. Doch dann beginnt die Zankerei

Jan 28, 2025 - 22:04
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Vor 125 Jahren: Streit im Wirtshaus: Wie die Gründung des DFB fast gescheitert wäre

Im Januar 1900 treffen sich in Leipzig Vertreter der jungen Sportart Fußball, um eine revolutionär neue Organisation zu erschaffen. Doch dann beginnt die Zankerei

Kurz vor dem Mittagessen, vor der Sauerampfersuppe, dem Lachs mit Leipziger Allerlei ("in Originalfassung") und der Mokka-Nougat-Eisbombe (ebenfalls "auf Leipziger Art"), kommt dann plötzlich doch der Durchbruch. Bis dahin ist die Diskussion an diesem 28. Januar 1900 beim "Ersten Allgemeinen Deutschen Fußballtag" in Leipzig hitzig gewesen, festgefahren. 

Dabei sind sich die meisten Teilnehmer einig: Die junge Szene des deutschen Fußballs braucht mehr Gemeinsamkeit, einen Rahmen, eine einheitliche Organisation. Deshalb auch hat der 23-jährige Leipziger Ernst Johannes Kirmse, ein Enthusiast, selbst Spieler, in das Wirtshaus "Zum Mariengarten" mit seinem ansehnlichen Barockgebäude und dem im Sommer so beliebten, von Arkaden gesäumten Innenhof Vereinsvertreter aus dem ganzen Kaiserreich geladen. Doch nach der Eröffnung der Sitzung am Morgen, nach dem aufbrandenden Streit, weiß Kirmse nicht mehr, wie und wann diese Einheit jemals erreicht werden soll.

Die Privilegierten treten gegen den Lederball

36 Männer sind in Leipzig zusammengekommen; alles Pioniere, die meisten Spieler der ersten Stunde, viele kaum 30 Jahre alt. Denn erst seit gut zwei Jahrzehnten kennt man in Deutschland Fußball, das als neue Ballsportart aus England auf den Kontinent gekommen ist. Wie jenseits des Ärmelkanals ist das Spiel mit der ledernen Kugel auch im Kaiserreich zunächst ein Sport von Bessergestellten; Sprösslinge aus dem Bürgertum, Gymnasiasten, junge Angestellte betreiben ihn. Der erste deutsche Verein, der BFC Germania, gründet sich 1888 in Berlin. Schnell folgen weitere Clubs, die sich wiederum in Gruppen zusammenschließen, um einfacher Spiele und Meisterschaften untereinander austragen zu können.

Doch diese Verbände sind nur regional organisiert, manchmal sogar nur auf den Teil einer Stadt begrenzt, es gibt etwa die "Süddeutsche Fußball-Union", den "Verband Deutscher Ballspielvereine" für Berlin, den "Hamburg-Altonaer Fußball-Bund". Ein Wildwuchs: Zuweilen unterscheiden sich die Spielregeln von Verband zu Verband; Schiedsrichter können nicht einheitlich ausgebildet, Meisterschaften auf nationaler Ebene nicht ausgespielt werden. Auch Länderspiele sind schwer möglich, weil die rivalisierenden Verbände kein gemeinsames Team zusammenbringen. Eine Dachorganisation müsste her. 

Zeichnung eines barock anmutenden Gasthauses mit einem von Arkaden umgebenen Biergarten
Der Treffpunkt der Fußballtagung am 28. Januar 1900 ist gediegen: das barocke Restaurant "Zum Mariengarten" in Leipzig, hier auf einer Postkarte von 1905. Einen Tag haben die Veranstalter für die Verhandlungen über die Gründung eines Dachverbands eingeplant
© Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Inv. Nr. PK 374

Und so ergreift der junge Johannes Kirmse, Chef des Leipziger Verbandes, die Initiative und lädt Anfang 1900 zur Tagung in seine Heimatstadt. Kaum aber hat er die Eröffnungsworte gesprochen, beginnen sie wieder, die Eigenheiten und Rivalitäten, das Funktionärsgeplänkel. Einige der Teilnehmer, die als Abgesandte von Verbänden oder einzelnen Vereinen insgesamt 86 Clubs vertreten, wollen den neuen Verband sofort. Andere bremsen, sind skeptisch, zweifeln die Autorität des Treffens an, wollen zunächst höchstens einheitliche Spielregeln für Deutschland beschließen. 

Wieder andere würden gerne erst die Rolle der regionalen Verbände kräftigen, ehe ein nationaler Verband übergestülpt wird. Kirmse, vorsichtig, um sein Ansinnen nicht grundsätzlich zu gefährden, schlägt zumindest die Bildung einer Kommission vor, die den Verband vorbereiten könne. Während schon der Duft des nahenden Mittagessens durch die Räumlichkeiten zieht, scheint eine Einigung in weite Ferne gerückt.

Die Angst, dass sich alles verzögert

Dann aber wird es patriotisch, einer der Teilnehmer erinnert an die vorbildhafte Gründung des Kaiserreichs 1871, an das Zusammenschmieden in nationalem Stolz. Auch Kirmse hatte in seinen einleitenden Worten am Morgen bereits markig erklärt, die Zeit sei endlich gekommen, "einen Achtung gebietenden Deutschen Fußball-Bund ins Leben zu rufen". 

Und auf einmal geht alles ganz schnell. Geschickt stellt eine kleine Gruppe der Anwesenden einen Antrag, sofort über eine Entscheidung abzustimmen – und der wird mit 64 zu 22 der Vereinsstimmen (deren Zahl größer ist als die der anwesenden Personen) angenommen. Kirmse erklärt die Gründung sogleich für perfekt. Beifall. Dann wird das Leipziger Allerlei serviert.

Rundes Logo mit den Initialen "DFB" in der Mitte und der Beschriftung "Deutscher-Fußball-Bund" kreisförmig darum herum
Im Lauf der stockenden Verhandlungen gelingt durch einen überraschenden, patriotisch gefärbten Vorstoß doch noch die Gründung des DFB. Bis 1926 wird der neue nationale Verband des deutschen Fußballs dieses Logo tragen
© dfb.de

Nach dem Essen allerdings: noch einmal ein Aufbäumen. Einige Teilnehmer legen offiziell Protest ein, fühlen sich überrumpelt. Doch faktisch ist der Verband nun gegründet, sein Name: "Deutscher Fußball-Bund". Es ist ein entscheidender Moment für die deutsche Sportgeschichte und die Entwicklung des Fußballs. Nach und nach treten auch die zunächst zögerlichen Vereine bei. 

Die größte Institution fängt klein an

Wirklich groß ist dieser neue Verband damals dennoch nicht, aber er wächst, wie auch die Sportart immer bedeutender wird: 1905 gehören schon 13.000 Fußballer in gut 250 Vereinen dazu. 1910 sind es rund 100.000 Spieler – und doch nur ein Bruchteil jener etwa 7,7 Millionen Mitglieder, die den DFB heute zum weltgrößten Sportverband machen.

Noch 1903, drei Jahre nach seiner Gründung, trug der DFB die erste deutsche Meisterschaft aus. Den Titel gewann damals ausgerechnet der VfB Leipzig, der Verein des engagiertesten frühen Aktivisten: Johannes Kirmse.