Norwegen - Mannschaft setzt auf KI-Trainer: The Artificial One
In Norwegen bestritt zum ersten Mal eine Mannschaft ein Spiel unter der Leitung einer künstlichen Intelligenz. Das sorgte nicht nur für skurrile Bilder, sondern auch für sonderbare Entscheidungen auf dem Spielfeld.
Ein bisschen wirken die Szenen im Stadion der norwegischen Kleinstadt Hamar wie aus einem dystopischen Science-Fiction-Film. Es dämmert langsam, auch wenn das in Skandinavien bedeutet, dass es vermutlich erst früher Nachmittag ist. Rund 25 junge Fußballspieler stehen in grünen Langarmshirts und schwarzen Trainingshosen ihres Vereins Hamarkameratene FC inmitten des menschenleeren Briskeby-Stadions. Über die meisten Gesichter huscht ein belustigtes, aber auch leicht unsicheres Lächeln. In Dreier- oder Vierergruppen gehen sie langsam aufeinander zu, legen die Arme umeinander und drücken ihre Mitspieler an sich. Der Trainer hat Teambuilding angeordnet.
Der Trainer ist aber nicht etwa der Mann mit Brille und weißem Kittel neben den Spielern, der auf eine Art kleine Taktiktafel schaut. Trainer ist der auf einem schwarzen Rollwagen mit zahlreichen bunten Kabeln verknüpfte Bildschirm. Bei der zweiten Mannschaft des norwegischen Erstligisten gibt heute eine künstliche Intelligenz die Anweisungen, „The Artificial One“ sozusagen.
Ein KI-Coach als logische Konsequenz
Anfang dieses Jahres entschied sich HamKam FC, für ein Spiel komplett auf (Die) künstliche Intelligenz zu vertrauen und begleitete das Experiment mit der Kamera. Vom Training über die Startaufstellung bis hin zu taktischen Änderungen: Alles sollte eine KI entscheiden, die der Verein in Zusammenarbeit mit einem norwegischen Energie- und Technologieunternehmen entwickelt hatte. Gefüttert wurde das Programm nicht nur mit den Daten des norwegischen Fußballverbands, sondern auch mit sämtlichen Informationen über die Viertliga-Spieler der zweiten Mannschaft HamKams. Die Entscheidungen der KI basierten auf über 12 Milliarden Datenpunkten, die mit Echtzeitdaten weiter angereichert wurden. So wusste das System schon während des Trainings, wer beispielsweise den Ball wie hart in welche Ecke des Tores geschossen hatte. Zumindest in der Theorie stand damit in Norwegen der laut Videoproduktion „schlauste Trainer der Erde“ an der Seitenlinie.
Die Einführung eines KI-Coaches ist eigentlich nur die logische Konsequenz aus den Entwicklungen der letzten Jahre. „Ohne datenbasierte Spielanalyse wird keine Spitzenmannschaft künftig mehr auskommen“, sagte Daniel Memmert, Leiter des Instituts für Trainingswissenschaften und Informatik an der Deutschen Sporthochschule Köln, gegenüber dem Handelsblatt. In Barcelona etwa analysiert eine KI die Bewegungsmuster der Spieler, um darauf basierend Verletzungsrisiken zu minimieren. In Liverpool wird das Verhalten bei Eckbällen von einer künstlichen Intelligenz vorgegeben und in Leverkusen sitzt mit Marcel Daum ein Co-Trainer an der Seitenlinie, der als einer der besten Datenanalysten des Fußballs gilt. Der Einfluss der künstlichen Intelligenz ist dabei viel direkter, als es von außen scheint. So kann Daums Software noch während eines Spiels entscheidende Informationen liefern, die zu taktischen Anpassungen auf dem Feld führen.
Dass Daten und Fakten aber längst nicht alles sind, was einen Trainer ausmacht, zeigte sich bei HamKam schon in der Spielvorbereitung. Zwischenmenschliche Kommunikation und fehlende Empathie waren Hürden, die sich im Versuch, durch Jugendsprache und Aussagen wie „Bro, dein Passspiel ist lowkey fire“ eine Verbindung zum Team aufzubauen, zeigten. Auch die eigentliche Stärke der KI, die Ausarbeitung besonders präziser und rationaler Lösungen, wurde schnell zu einer Schwachstelle. „Schieß 14 Prozent härter" war nur eine von mehreren Anweisungen, die für die Spieler nicht umzusetzen war. Auch die Stimmen aus der norwegischen Kleinstadt, die für die Dokumentation des Experiments eingeholt wurden, waren eher kritisch. „Ich glaube, das wird genauso scheiße wie der VAR“, vermutete ein ernüchterter Barbesucher vor dem Spiel. Je nach persönlicher Meinung zum Videoassistenten dürfte er nicht ganz Unrecht gehabt haben.
Dabei begann das Freundschaftsspiel gegen den Lokalrivalen Nes zunächst vielversprechend. HamKam erkämpfte sich einen Elfmeter, ging früh mit 1:0 in Führung, doch bei einer klassischen Taktik wollte es die KI nicht belassen. „Kollektive Ball-Jagd“ lautete die Anweisung. Alle zehn Feldspieler strömten in einer Traube Richtung Ball – Bilder, die es sonst nur bei den Minikickern zu sehen gibt. Während der Torhüter qua seiner großen Hände nun für die Einwürfe zuständig war, formierte sich der Rest der Mannschaft in einem klassischen 1-0-9-System. Am Ende ging die Partie mit 1:6 verloren. „Es lief in Ordnung“ resümierte Håkon Kristiansen, der die Mannschaft normalerweise trainiert. „Die Analyse war auf einem sehr hohen Niveau, aber wir konnten auch einige sehr ungewöhnliche taktische Entscheidungen beobachten.“
Kein Werbegag
Begleitet wurde das gesamte Experiment von Regisseur Glenn Kitson. An vielen Stellen wirken die Szenen seiner Produktion jedoch überspitzt. Muss die KI wirklich im Rollwagen auf den Trainingsplatz geschoben werden? Und muss der Mann, der das tut, tatsächlich einen weißen Kittel tragen? Was genau der Realität entspricht und welche Aspekte nur zu Unterhaltungszwecken dienen, ist schwer zu sagen. Doch immer wieder wird betont: „Das ist kein Werbegag!“ HamKam wolle gemeinsam mit seinem Sponsor versuchen, technische Innovationen auszureizen. Auch wenn von Beginn an klar gewesen sei, dass ein menschlicher Trainer nicht komplett ersetzt werden könne, wolle der Verein den strategischen Einsatz von künstlicher Intelligenz fördern, um den norwegischen Fußball voranzutreiben.
Laut Jens-Petter Aarhus, der mit für die Videoproduktion zuständig war, ist der KI-Coach theoretisch noch immer einsatzbereit und „verfügbar für jeden, der neugierig ist, ihn auszuprobieren“. Doch noch kann „The Artificial One“ mit „The Special One“ und „The Normal One“ nicht mithalten.