Lithium contra Demokratie: Verspielt die EU ihre Sympathien in Serbien?

Schluss mit Korruption, her mit mehr Rechtsstaatlichkeit: Diese Forderungen treiben Studierende in ganz Serbien auf die Straße. EU-Fahnen wehen bei diesen Demos nicht. Liegt das auch an einem Lithium-Deal?

Feb 1, 2025 - 14:42
 0
Lithium contra Demokratie: Verspielt die EU ihre Sympathien in Serbien?

Schluss mit Korruption, her mit mehr Rechtsstaatlichkeit: Diese Forderungen treiben Studierende in ganz Serbien auf die Straße. EU-Fahnen wehen bei diesen Demos nicht. Liegt das auch an einem Lithium-Deal?

Ganz gleich ob Belgrad, Novi Sad oder Niš: Die Bilder, die uns in diesen Tagen aus Serbien erreichen, zeigen friedlichen Protest. Mit ihren Handys verwandeln Zehntausende die nächtlichen Straßen in ein Lichtermeer. Ihre Forderung: Recht und Gesetz sollen für alle Menschen in Serbien gelten - auch für die diejenigen, die ganz oben stehen im Staat. 

Auslöser für die Massenproteste war der Einsturz eines Bahnhofsvordachs in Novi Sad Anfang November. 15 Menschen verloren dabei ihr Leben. Für die Studierenden, die seitdem demonstrieren, ist der Vorfall nicht einfach ein tragisches Unglück, sondern Folge unsachgemäßer Renovierungsarbeiten durch ein chinesisches Unternehmen. Sie kritisieren, dass die serbische Regierung zunächst versucht habe, das Unglück zu vertuschen und Verantwortung abzuweisen. „Korruption tötet“, so der Slogan, der auf vielen Plakaten zu lesen ist.

Podcast

Florian Bieber ist Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien an der Universität Graz. Er beobachtet die Situation in Serbien sehr genau: Es gehe den Studierenden nicht um Umsturz, wie Präsident Aleksandar Vučić behaupte, sondern um Transparenz und um Rechtsstaatlichkeit. Im Podcast „Wirtschaft Welt & Weit“ bringt Bieber es klar auf den Punkt: „Das sind wirklich die großen Probleme, mit denen Serbien seit über einem Jahrzehnt zu kämpfen hat.“ 

Serbiens Regierung fühlt sich bedroht

Längst gehen nicht mehr nur Studierende auf die Straße, sondern auch Anwälte, Ärzte und viele anderen Berufsgruppen. Gerade erst haben sie den Rücktritt des serbischen Ministerpräsidenten Miloš Vučević erreicht. Doch der ist für Bieber „kein bedeutendes Schwergewicht in der serbischen Machtkonstellation“, sondern eher eine Art Bauernopfer. Dennoch sieht er den Rücktritt als Indiz dafür, „dass das Regime sich im Moment bedroht fühlt“. 

In der neuen Podcast-Folge erklärt der Professor für Geschichte und Politik Südosteuropas, wie das System Vučić funktioniert: Zwar liege die Macht formal beim Ministerpräsidenten, doch in der Praxis habe es Vučić geschafft, die wichtigen Institutionen des Landes zu übernehmen. Seine Macht gehe dabei nicht von der Verfassung aus, sondern von der Partei und seiner Person. „Er könnte theoretisch morgen als Präsident zurücktreten und weiterhin die gleiche Macht ausüben“, sagt Bieber. 

31-01-25 Riester Rentenfaktor

All das passt nicht wirklich damit zusammen, dass  das Land seit mehr als zehn Jahren den Status eines EU-Beitrittskandidaten innehat. „Serbien ist im letzten Jahrzehnt sehr viel weniger demokratisch geworden“, kritisiert Bieber. Dafür beobachtet er „größere Missachtung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit“. Genau dagegen müssten sich die EU und auch Deutschland stellen - und ihre Prinzipien auch beim Aushandeln wirtschaftlicher Deals verfolgen. Ansonsten sieht Bieber die Gefahr, dass die EU ihre Sympathien bei vielen Menschen in Serbien verspielt. 

Rutscht EU in Abhängigkeit zu Serbien?

Das zeigt etwa das Lithium-Abkommen, das im Sommer 2024 zwischen Serbien und der EU abgeschlossen wurde. Dabei geht es um die Förderung von Lithium im serbischen Jadartal durch den Bergbaukonzern Rio Tinto. Serbien würde gerne die komplette Wertschöpfungskette vom Abbau des Lithiums bis hin zur Produktion von E-Autos im Land konzentrieren. Die EU will das Vorhaben fördern und beim Thema Lithium weniger abhängig von China werden. Für Bieber rutscht die EU jedoch eine neue Abhängigkeit, und der serbische Präsident Aleksandar Vučić ist für ihn dabei „kein zuverlässiger Bündnispartner“. 

Altervsorsorge mit 20,30,40

Das Lithium-Abkommen „hat der Europäischen Union und Deutschland auf dem Balkan einen Riesen-Schaden zugefügt“, konstatiert Bieber. Viele Menschen haben seiner Beobachtung nach inzwischen das Gefühl, dass die EU ihre Forderungen nach mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht wirklich unterstütze, sondern stattdessen ihre eigenen Interessen verfolge. Seine Beobachtungen in Serbien formuliert er im Podcast klar auf den Punkt: „Viele Menschen sagen, die EU ist nicht anders als China, die wollen nur unsere Rohstoffe.“

Dass die EU auf höhere Umweltauflagen setzt als China, lässt der Südosteuropa-Experte übrigens nicht gelten. Denn für ihn fehlen angemessene Kontrollmechanismen. Schon jetzt würden in vielen Fällen, etwa beim Bau von Fabriken, nicht mal die serbischen Auflagen eingehalten. „Warum sollte das anders sein bei einem Minenprojekt einer multinationalen Firma“, gibt Florian Bieber zu bedenken.