Aufrüstung: RCH 155 – Ukraine erhält die modernste Radhaubitze der Welt
Von Deutschland hat Kiew bereits die Panzerhaubitze 2000 erhalten – nun kommt der Nachfolger, die RCH 155. Die Ukraine wird die Waffe als erstes Land im Einsatz haben.
Von Deutschland hat Kiew bereits die Panzerhaubitze 2000 erhalten – nun kommt der Nachfolger, die RCH 155. Die Ukraine wird die Waffe als erstes Land im Einsatz haben.
Die RCH 155 steht in der Tradition der Panzerhaubitze 2000 (PzH), ist aber eine deutliche Weiterentwicklung und auch eine Änderung des Konzepts. Die Panzerhaubitze 2000 nutzt das Fahrgestell des Leopard I – also das eines ausgewachsenen Kampfpanzers mit Kettenantrieb. Grundsätzlich kann der Kettenantrieb im schweren Gelände Vorteile gegenüber Radfahrzeugen haben.
Dem gegenüber stehen auch Nachteile. Die Geschwindigkeit auf Straßen und leichtem Gelände ist geringer, Wartung, Verschleiß und Gewicht sind höher. Die RCH 155 baut auf dem Boxer auf. Das modulare System des Boxers erlaubt zahlreiche Aufbauten. Für den Vergleich zum Kampfpanzer Leopard 1 kann man den Boxer als mittleren Schützenpanzer einordnen. Hersteller KNDS spricht vom modernsten Radschützenpanzer der Welt.Haubitze 200017h 10.10
Goldener Kompromiss dank Boxer
Mit der Wahl eines Radschützenpanzers siedelt sich die RCH 155 zwischen schweren Panzerhaubitzen wie der Panzerhaubitze 2000 und Systemen an, die einen LKW als Fahrgestell benutzen, so wie das schwedische Archer-System oder die Caesar-Haubitzen aus Frankreich. Der Verzicht auf die Geländegängigkeit eines Kettenpanzers dürfte in der Ukraine durch das niedrigere Gewicht mehr als ausgeglichen werden. Die langen Schlammperioden dort schränken schwere Fahrzeuge stark ein. Außerdem ist eine Haubitze nicht auf eine direkte Schussposition angewiesen, so wie ein Kampfpanzer. Die selbstfahrende Haubitze RCH 155 ist etwa 10,40 Meter lang, 2,99 Meter breit und 3,60 Meter hoch. Mit einem Kampfgewicht von unter 39 Tonnen findet sie einen guten Kompromiss zwischen schwerer Artillerie und der Mobilität von Radfahrzeugen. Die PzH 2000 bringt immerhin 57,6 Tonnen auf die Waage.
Den Boxer gibt es schon länger, die eigentliche Innovation besteht im Turm und dem Geschütz. Der Turm ist für einen autonomen Betrieb ohne Besatzung ausgelegt. Die Haubitze RCH 155 hat daher nur zwei Mann Besatzung. Sie arbeiten im Rumpf des Boxers und nicht im exponierten Turm. Die Munition ist von ihnen getrennt. Die Überlebenschancen der Besatzung sind dadurch deutlich erhöht.
Das System wird mit dem MTU-Dieselmotor 8V199 TE20/21 angetrieben. Seine 816 PS erreichen auf Straßen eine Geschwindigkeit von über 100 Kilometern pro Stunde. Die Reichweite beträgt 700 Kilometer mit einer Tankfüllung.TOS Flammenwerfer_17.40
Vollautomatische Haubitze
Die Hauptwaffe, die 155-mm-Haubitze L/52, entspricht der Bewaffnung der PzH 2000. Sie kann zahlreiche Geschosse verwenden, darunter auch reichweitengesteigerte Munition, die bis zu 54 Kilometer weit trägt. Die Schussfolge beträgt neun Schuss pro Minute – das Fahrzeug führt 30 Geschosse und 144 modulare Treibladungen mit. Bei schwerer Artillerie werden Geschoss und Treibladung nicht in einer Patrone zusammengeführt. Auf den ersten Blick sieht der Turm nicht elegant aus, er erlaubt aber eine volle 360-Grad-Drehung. Vertikal kann das Rohr von -2,5 Grad bis +65 Grad verschwenkt werden.
Die Leistungsfähigkeit von Ziel- und Feuerleitsoftware ist im Detail nicht bekannt. Die RCH 155 kann aber nicht nur mehrere Granaten so abfeuern, dass sie zeitgleich im Ziel eintreffen, sie kann darüber hinaus gleichzeitig verschiedene Ziele angreifen.
Das Fahrzeug lässt sich in ein elektronisches Schlachtfeld integrieren. Das bedeutet, dass die Haubitze direkt Zieldaten von Beobachtern bekommen und dann sofort zuschlagen kann.
Haubitze feuert während der Fahrt
Und es gibt weitere Innovationen. Die RCH 155 kann, anders als Archer oder Caesar, während der Fahrt feuern. Die RCH 155 kann daher sehr schnell den Feind unter Feuer nehmen und danach sofort schnell verlagern. Für Artillerie ist es überlebenswichtig, nach den Schüssen zu verschwinden, bevor das Gegenfeuer des Gegners einsetzt oder seine Drohnen erscheinen.Waffen aus Nordkoera_1227
Russland erhält derzeit die gewaltigen M-1978 Koksan Haubitzen aus Nordkorea. Im Vergleich zu den altertümlichen Ungeheuern im Kaliber 170 Millimeter ist die RCH 155 mehrere Generationen voraus. Die Entwicklung zu einem vernetzten Schlachtfeld birgt allerdings eigene Probleme. Ihre Stärke und ihre Schwachstelle sind der Austausch großer Datenmengen. Jeder Gegner wird versuchen, diese Kommunikation zu stören. Doch das eigentliche Problem der RCH 155 dürfte die Anzahl sein. Die sechs Geschütze der ersten Lieferung sind zu wenig, um einen entscheidenden Einfluss auszuüben. Insgesamt werden es 54 Radhaubitzen. Bis Mitte 2027 soll Kiew weitere 18 neu produzierte Panzerhaubitzen 2000 erhalten, die gelieferte Zahl würde dann ebenfalls 54 betragen. Doch für diesen Zeitrahmen muss die freie Ukraine noch über zwei Jahre weiter kämpfen.