Nikotinsucht: Wenig Hirnmasse? Forscher wollen entdeckt haben, was Menschen zu Rauchern macht

Ein Forscherteam hat Raucher:innen in den Kopf geschaut und erstaunlich wenig Hirn gefunden. Ist das der Grund, warum Menschen zu Rauchern werden?

Jan 18, 2025 - 11:21
Nikotinsucht: Wenig Hirnmasse? Forscher wollen entdeckt haben, was Menschen zu Rauchern macht

Ein Forscherteam hat Raucher:innen in den Kopf geschaut und erstaunlich wenig Hirn gefunden. Ist das der Grund, warum Menschen zu Rauchern werden?

Früher war nicht alles besser, für Raucher:innen aber vieles. In Büros konnte der Stress mit Kettenraucherei gelindert werden, dicke Rauchschwaden sorgten allerorten für schummrig-berauschende Restaurantatmosphäre und selbst im Flieger wurde zum Ausblick über den Wolken der Aschenbecher gereicht. Doch der zur Sucht verführende Marlboro-Mann hat an Sexyness eingebüßt. Das Rauchen ist nicht mehr unbedenklicher Alltagsbegleiter, es ist ungesund. Unbestritten.

Schon länger wird, wer sich dennoch rauchenderweise zugrunde richten möchte, ins Exil verbannt – vor die Tür, in Ekelecken, klar ersichtlich abgegrenzte Quadrate der Schande. Für Raucher:innen ist das öffentliche Leben ungemütlich geworden – dem zum Trotz werden sie hierzulande immer mehr. Warum können gerade so viele Jugendliche wider besseren Wissens die Finger nicht von der Kippe lassen? Die Antwort darauf könnte in unserer Hirnstruktur zu finden sein.PAID Interview Rauchstopp 7.24

Ist die Lust am Rauchen vererbt?

127.000 Menschen sterben hierzulande jedes Jahr an den Folgen des Tabakkonsums. Und das zehn Jahre früher als ihr Nichtraucher-Ich eigentlich an Lebenszeit gehabt hätte. Trotzdem qualmt derzeit beinahe jeder Dritte über 14 Jahren in Deutschland. Tendenz steigend. Ein internationales Forscherteam hat sich Hirnscans von rund 800 rauchenden wie nicht-rauchenden Jugendlichen, angesehen, die jeweils im Alter von 14, 19 und 23 Jahren aufgenommen worden waren, um herauszufinden, was sie zum Rauchen bringt und was sie in die Nikotinsucht führt. Eine Antwort wollen sie in der grauen Substanz gefunden haben. Die graue Substanz ist im Gehirn und im Rückenmark zu finden und ein wichtiger Bestandteil des Zentralnervensystems. Ihre Entwicklung ist in der Pubertät abgeschlossen, wohingegen die Entwicklung des Gehirns bis in das Erwachsenenalter reicht. 

Zwei Hirnareale rücken durch die Analyse in den Fokus. Beide gehören zum Stirnlappen der Großhirnrinde und sind Teil des sogenannten ventromedialen präfrontalen Cortex. Dieser ist unter anderem an der Hemmung negativer Gefühle und an der Verarbeitung von Risiko und Angst beteiligt. So fanden die Wissenschaftler:innen der Universität Cambridge heraus, dass Jugendliche, die mit 14 das Rauchen begannen, im Schnitt deutlich weniger graue Substanz im linken Teil dieses Hirnbereichs aufzuweisen hatten. Wie es dazu kommt, ist noch ungeklärt. Möglicherweise handele es sich dabei um einen "vererbbaren Biomarker" für Nikotinsucht. Das weniger an Hirnmasse in diesem Bereich könne zu "Enthemmung" führen: impulsives, regelwidriges Verhalten, das aus einer begrenzten Fähigkeit resultiert, Konsequenzen zu bedenken und die Wahrscheinlichkeit erhöhe, dass Jugendliche überhaupt erst mit dem Rauchen beginnen.PAID 52_22 Ökobilanz Kippe oder E-Zigarette? 6.24

Frühes Rauchen führt zu Abbau von Hirnmasse

Dass Menschen eine Nikotinsucht entwickeln, könnte hingegen mit der anderen Seite des ventromedialen präfrontalen Cortex zusammenhängen. Auch in diesem Bereich fanden die Forschenden bei den jungen Raucher:innen weniger Volumen. Der Abbau der Masse scheint zudem verknüpft mit dem Rauchbeginn zu sein. Die geringere Hirnmasse könnte laut der Wissenschaftler:innen einen Einfluss auf die Widerstandskraft und Kontrolle bezüglich des Rauchverhaltens haben.

"Der ventromediale präfrontale Cortex ist eine Schlüsselregion für Dopamin, den Genussstoff des Gehirns. Es wird seit langem vermutet, dass Dopamin nicht nur bei belohnenden Erfahrungen eine Rolle spielt, sondern auch die Selbstkontrolle beeinflusst", so Barbara Sahakian, die an der Studie mitgearbeitet hat. Sahakian ist Professorin für Psychiatrie an der Universität Cambridge. "Weniger graue Substanz in dieser Hirnregion kann die kognitiven Funktionen einschränken, was zu einer geringeren Selbstkontrolle und einer Neigung zu riskantem Verhalten, wie zum Beispiel dem Rauchen, führt."

Das Forscherteam ist davon überzeugt, einen Hinweis auf einen "neuroverhaltensbezogenen Mechanismus" gefunden zu haben, der nicht nur zu einem frühem Nikotinkonsum führen könne, sondern auch zu einer langfristigen Abhängigkeit.

Quelle: NatureCambridgeDebra-StudyBundesgesundheitsministerium