Energieversorgung: Droht Europa eine neue Gaskrise?

In Deutschland ziehen die Gaspreise wieder an. Welche Folgen hat das Ende des Gastransits durch die Ukraine? Energieexperte Georg Zachmann über die Lage auf dem Gasmarkt

Jan 21, 2025 - 11:32
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Energieversorgung: Droht Europa eine neue Gaskrise?

In Deutschland ziehen die Gaspreise wieder an. Welche Folgen hat das Ende des Gastransits durch die Ukraine? Energieexperte Georg Zachmann über die Lage auf dem Gasmarkt

Nach dem Höhepunkt der Energiekrise 2022 war das Thema Gasversorgung aus der öffentlichen Debatte wieder weitgehend verschwunden. Nun taucht es wieder auf dank niedriger Speicherstände, wieder steigender Großhandelspreise und Meldungen über Gasknappheit in manchen Ländern wie etwa Großbritannien. Wie ernst ist die Lage?
GEORG ZACHMANN: Der große Einschnitt, der die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Thema gelenkt hat, ist das Ende des Gastransits durch die Ukraine zum Jahreswechsel. Dabei ging es zum Schluss zwar nur noch um etwa fünf bis sechs Prozent der europäischen Gasimporte. Aber es war das Ende einer über 50-jährigen Geschichte, einer jahrzehntelangen Zusammenarbeit zunächst zwischen der Sowjetunion, dann zwischen Russland und Westeuropa. Das ist ein historischer Einschnitt und der hat Sorgen ausgelöst um die Sicherheit und den Preis der Energieversorgung. Auf der einen Seite sind also etwa sechs Prozent der Gasimporte weggefallen. Auf der anderen Seite ist die Gasnachfrage in Europa wieder angestiegen. Der Verbrauch im vergangenen Quartal lag gut zehn Prozent über den Werten der Vorjahre.

Woran liegt das?
Das hat verschiedene Gründe. Unter anderem hatten wir im November eine Phase, wo Gaskraftwerke mehr laufen mussten, weil weniger Wind geweht hat. Zudem war es kälter als in den letzten beiden Jahren. Und auch die Produktion der gasintensiven Industrie hat sich ein bisschen erholt, weil die Preise eben gesunken waren. Das alles hat dazu geführt, dass die Speicher leerer sind als in den Vorjahren. Aber es gibt keinen Grund, für Deutschland Alarm zu schlagen.NL Die Woche

Und in anderen Ländern? Aus Großbritannien wird von „besorgniserregend niedrigen“ Speicherständen berichtet.
Großbritannien ist ein spezieller Fall, weil es dort keine großen Gasspeicher gibt. Die Briten haben sehr viele LNG-Terminals und können sich so mit Flüssiggas über den Seeweg versorgen. Aber ohne Gasspeicher als Puffer kann es auch kurzfristig mal zu Knappheiten kommen.

Im Zusammenhang mit dem Ende des Gastransfers über die Ukraine hieß es aus der Politik immer, wir seien gut vorbereitet. War das doch zu optimistisch?
Die Gasspeicher werden für diesen Winter aller Voraussicht nach bequem ausreichen. Die Preise sind aktuell nicht viel höher, als sie vor etwa einem Jahr waren. Wo wir tatsächlich einen deutlichen Anstieg sehen, sind die erwarteten Preise für den Sommer dieses Jahres. Das liegt unter anderem an den Befüllungsvorschriften, die dazu zwingen, im Sommer Gas zu kaufen und einzuspeichern. Denn jeder Speicherbetreiber muss zu bestimmten Daten festgelegte Mindestwerte erreichen. Früher hat der Markt geregelt, dass die Speicher dann befüllt wurden, wenn es billig war. Jetzt treibt diese holzschnittartige Befüllungsrichtlinie zu den festgelegten Daten die Preise.

Aktuell ist die Situation für Deutschland also relativ entspannt. Aber die Sorge ist vor allem, ob wir uns mittelfristig mit günstigem Gas für die Wirtschaft versorgen können.
Mittel- und langfristig wird Gas in Europa halt etwa so viel kosten, wie die LNG-Importe nach Europa kosten. Denn von diesen Flüssiggaslieferungen per Schiff werden wir dauerhaft abhängig sein. Dieser Preis entsteht auf dem globalen LNG-Markt, der sich in den vergangenen Jahren stark weiterentwickelt hat. Er ähnelt in seiner Funktionsweise inzwischen dem globalen Ölmarkt. Diesen Marktpreis vorherzusehen ist nicht trivial, weil es ein globaler Markt ist, mit vielen Unwägbarkeiten. Einerseits bauen die USA ihre Exportkapazitäten für LNG weiter massiv aus. Andererseits nimmt die Nachfrage global zu und wir stehen im Wettbewerb mit den anderen Importeuren. Da unsere Zahlungsbereitschaft im Vergleich zu anderen, weniger finanzkräftigen Ländern hoch ist, werden wir mit Sicherheit weiter genug Gas bekommen - aber eben nicht mehr im Rahmen intransparenter Deals einzelner Kunden mit Russland, sondern zu einem nicht immer vorhersagbaren, aber schließlich für alle Kunden ähnlichen Marktpreis.

Aus ärmeren Ländern kommt Kritik, dass sie von finanzkräftigen Energieverbrauchern wie Deutschland auf dem globalen Gasmarkt überboten werden und leer ausgehen. Halten Sie solche Klagen für berechtigt?
Es ist wirklich ein sehr freier Markt. Diejenigen, die bereit und in der Lage sind, mehr zu bezahlen, bekommen das Gas. Das hat in der Energiekrise teilweise dramatische Folgen gehabt. Man kann sagen, dass indirekt Stromabschaltungen von Europa nach Pakistan outgesourct wurden. Allerdings ist der Markt inzwischen gewachsen. Und einen neuen Schock in dem Ausmaß wie 2022, als Europa plötzlich den Großteil seiner russischen Importe durch LNG ersetzen wollte, sehe ich auch nicht.

Gas wird in Deutschland also nicht knapp werden, aber teuer bleiben?
Eines kann man sicher sagen: Gas bei uns wird deutlich teurer sein als beispielsweise in den USA. Die haben Schiefergasvorkommen und Ölförderung, bei der auch Erdgas mitproduziert wird. Deswegen ist Gas in den USA unschlagbar billig. Damit es als LNG zu uns kommt, müssen sehr teure Terminals gebaut werden, dort wird das Gas mit viel Energieaufwand tiefgekühlt und mit Schiffen, die knapp und deshalb teuer sind, über den Atlantik geschippert. Bei uns werden ebenfalls Terminals aufgestellt und das LNG wieder in Gas umgewandelt. Das alles führt dazu, dass sich die Kosten im Vergleich mit dem ursprünglichen Gas verdoppeln oder verdreifachen. Die energieintensive Industrie muss sich darauf einstellen, dass Gas dauerhaft zwei- bis dreimal so teuer sein wird wie in den USA. Wenn ich also als Düngemittelproduzent Erdgas in Ammoniak umwandele, dann wäre es möglicherweise sinnvoller, das Ammoniak nicht in Europa, sondern in den USA herzustellen und auf ein Schiff zu laden, was viel einfacher ist als bei tiefgekühltem LNG. Diese Problematik wird bleiben, weil die Transportkosten bei LNG einen viel höheren Anteil am Preis ausmachen als etwa bei Rohöl oder bei Pipeline-Gas.Aktien, Gold & Anleihen fürs Depot: So legt man sein Geld sinnvoll an - Capital.de

Wo wir gerade bei den USA sind: Angesichts Donald Trumps Ärger über die unausgeglichene deutsch-amerikanische Handelsbilanz gibt es die Idee, dass Deutschland im Rahmen eines speziellen Deals mehr Gas aus den USA kaufen könnte. Wäre das günstig für Deutschland oder nachteilig, weil der freie Weltmarkt effizienter ist?
Auf europäischer Seite gibt es offenbar den Wunsch, der neuen Administration in den USA bei diesem Thema entgegenzukommen. Das ist politisch verständlich und für uns vielleicht gar nicht so schlecht, wenn wir günstig Energie importieren und dafür beispielsweise mehr Autos exportieren. Aber ich kann nicht nachvollziehen, was das ökonomisch in Bezug auf das US-Handelsbilanzdefizit bringen soll. Für die USA würde das nur zu einer Verschiebung der Exportstruktur führen, und zwar zu einer negativen, von hochwertigen Industrieprodukten hin zu mehr Rohstoffen ohne zusätzliche Wertschöpfung.

In Europa wird derzeit debattiert, auch LNG-Importe aus Russland zu sanktionieren. Hätte das angesichts dieses funktionierenden Weltmarkts Auswirkungen auf Russland?
Es hätte nur begrenzte Auswirkungen. Wir beziehen ungefähr sechs Prozent unserer gesamten europäischen Gasimporte in Form von russischem LNG – also eine ähnliche Größenordnung, wie der Ukraine-Transit es darstellt. Wenn wir das mit Importsanktionen belegen, werden wir anderes LNG kaufen. Dafür werden andere Importeure dann wahrscheinlich russisches LNG beziehen. Für uns wird es damit sicherlich ein bisschen teurer werden, weil der Transportweg aus anderen Weltgegenden länger ist. Für Russland wird es noch unangenehmer werden, da die russischen LNG-Terminals in der Arktis relativ nah am europäischen Markt sind. Um das Gas von dort in Regionen zu bringen, braucht man Eisbrecher-fähige Tanker, die vergleichsweise klein sind und von denen es nur wenige gibt. Für Novatek, Russlands Haupt-LNG-Exporteur, könnte das kurzfristig zu spürbaren Einbußen an Exportmenge und Ertrag führen. In die Pleite treiben wird es sie eher nicht.

Georg Zachmann ist Senior Fellow am europäischen Thinktank Bruegel in Brüssel. Er forscht zum Energiemarkt und zur Klimapolitik. Mit Georg Zachmann sprach Max Borowski.

Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen. Das Nachrichtenportal gehört wie Capital zu RTL Deutschland.

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