Discount deluxe: So versucht sich Lidl in Berlin als Warenhaus-Retter
Die wahrscheinlich ungewöhnlichste Lidl-Filiale der Hauptstadt residiert im Galeria-Erdgeschoss: Mit breiter Landebahn, edler Holzoptik und flexiblen Kassenkonzepten definiert die Handelskette am Ku'damm gerade neu, was Discount alles kann. Der Beitrag Discount deluxe: So versucht sich Lidl in Berlin als Warenhaus-Retter erschien zuerst auf Supermarktblog.
Wahrscheinlich hat sich der ganze Aufwand schon dafür gelohnt, dass die Berliner Feuerwehr auf dem Weg zur Wache morgens jetzt endlich ordentlich frühstücken kann. Es ist kurz nach neun Uhr morgens, als das Löschfahrzeug am Ende der Augsburger Straße in Berlin-Charlottenburg hält und zwei Kollegen in voller Dienstuniform aussteigen, um für alle einen morgendlichen Snack zu besorgen. Platz zum Parken ist in der Seitenstraße ja reichlich da – und das mitten in der Innenstadt, an einem der meistbefahrenen Verkehrsknotenpunkte Berlins.
Genau dort hat vor nicht einmal drei Wochen die vielleicht schönste, mindestens aber ungewöhnlichste Lidl-Filiale der Hauptstadt eröffnet: im Erdgeschoss des Galeria-Warenhauses.
Das sperrt seine Türen allerdings erst um 10 Uhr für den Einkaufsbetrieb auf – während der neu angesiedelte Discounter schon drei Stunden vorher für seine Kundschaft da ist. Sofern die den Umweg um den Häuserblock zum Hintereingang geht, wo neben dem uralten Karstadt-Logo jetzt auch das des jüngsten Galeria-Kooperationspartners Lidl hängt (siehe Supermarktblog).
Leuchtinstallation zum Eingang
Eine offizielle Ku’damm-Adresse hat man sich in Bad Wimpfen trotzdem ermogelt – und noch dazu alles aus dem ungewöhnlichen Standort rausgeholt, was es so braucht, um sich als flexibler Innenstadtversorger in Szene zu setzen.
Selbst wenn dafür offensichtlich das Risiko eingegangen werden muss, nicht nur die Lidl-Filiale mit der deutschlandweit breitesten Eingangsfront, sondern auch die mit den meisten Zugangsmöglichkeiten zu eröffnen.
Während am Hauptzugang in Sichtweite zur Gedächtniskirche bislang nur ein Hinweis in Zitronengelb auf die gerade erfolgte Eröffnung hinweist, lotst auf der gegenüberliegenden Seite des Betonkomplexes eine drei Schaufenster einnehmende Leuchtinstallation in den Lidl-Farben zum sechstürigen Einlass, der von einem eigenen Security-Mitarbeiter bewacht wird.
Aber nicht nur das macht den Galeria-Lidl, der mit 1.300 Quadratmetern Verkaufsfläche etwas größer ausfällt als die Schwester am zweiten Galeria-Standort in Berlin-Neukölln, zu einer Besonderheit.
Frische-Block und Convenience-Kompetenz
Wer die automatisch öffnenden Türflügel durchschritten hat, steht auf einer Discount-Landebahn, wie es sie so sonst nirgends gibt: Auf der rechten Seite zieht die großzügig gestaltete Obst- und Gemüse-Abteilung, in der die Ware in der Etagen hochgestapelt ist, sofort alle Blicke auf sich. Direkt dahinter hat der Galeria-Lidl die Kühlschränke für Frischfleisch in schwarzer Verkleidung positioniert.
Komplettiert wird die Frische-Blockinszenierung von einem „Unser Brot“-Rondell, bei dem die Kundschaft Aufbackware von drei Seiten entnehmen kann (was ein Stück weit an die Kaufland’sche Bake-off-Landschaft erinnert), während der automatisch fürs Personal öffnende Zugang auf der rechten Seite die kontinuierliche Versorgung mit neuen Teiglingen sicherstellt, aber auch Kund:innen zum Honigregal durchlässt.
Im (vom Lidl-Haupteingang aus gesehen) linken Ladenteil konzentriert sich der Discounter darauf, Convenience-Kompetenz zu demonstrieren: In einer mittig platzierten Kühltruhe mit viel Tanzplatz außenrum warten gekühlte Snacks auf ihren Sofortverzehr, daneben lassen sich Säfte, Smoothies und andere Getränke aus einer selbst gebauten Kühlinsel ziehen.
TK-Pommes neben Zahnbürsten
Eine im Design der Energydrink-Eigenmarke „Strong Kong“ tapezierte Säule lotst zum dahinter gelegenen Kühlregalmeter mit dem ausreichend gekühlten Wachbleib-Vorrat bzw. dem des Marken-Wettbewerbers aus Österreich.
Die Großzügigkeit, mit der Lidl gleich am Eingang protzt, macht sofort Lust aufs Einkaufen. Und die helle Holzoptik-Verkleidung des Mobiliars, die der Discounter inzwischen marktübergreifend einsetzt, verpasst dem Laden zusammen mit dem hellen Boden einen fast eleganten Touch. Selbst die früheren Warenhaussäulen sind holzverkleidet und wirken dadurch nicht störend, sondern eher wie absichtlich marktstrukturierende Elemente.
Auch die teilweise verschachtelte Regalsetzung im Hauptteil des Ladens irritiert nur minimal, selbst wenn wegen der – sagen wir: kreativen Sortimentspositionierung die Tiefkühl-Pommes in Aktion im 90-Grad-Knick neben den Zahnbürsten stehen. Und zahlreiche Regalenden (zu) viel Platz für Aktionsaufsteller lassen: schon wieder Energy Drinks neben Popcorn-Schokolade neben Spülmaschinen-Tabs neben Tee.
Maximale Durchlässigkeit
Um die notwendige Ladenlogistik unterzubringen, haben die Gestalter:innen des Galeria-Lidls in die architektonische Trickkiste gegriffen: Die rechte Ladenseite schließt mit einem Lager in Schlauchform ab, das als eine Art LEH-Boxengasse nicht benötigte Schütten, Paletten und Kartons aufnimmt und die angelieferte Neuware zwischenparkbar macht.
Nicht nur die Warenverräumung kann so clever von der Seite erfolgen, auch die Automaten für die Pfandrückgabe sind dort eingelassen – eine elegante Lösung. Als Trenner zum Laden reichen kopfhohe Zwischenwände, das macht auch potenziell nachträgliche Umbauten einfacher.
Ohnehin ist der Warenhaus-Lidl auf maximale Durchlässigkeit angelegt. Der breite Hauptlauf durch den Laden führt direkt ins Galeria-Erdgeschoss, das über schulterhohe Trennwände eingesehen werden kann. Kund:innen, die vom Ku’damm aus den Laden ansteuern, haben drei (!) zusätzliche Eingangsmöglichkeiten (die bei geschlossenem Warenhaus mit rollbaren Plexiglastüren verriegelt sind).
Flexible Kassenlösungen
Gleichzeitig ermöglicht Lidl den Auslass an beiden Marktseiten: Zur Galeria-Front hin wird an zwei Steh-Bedienkassen und mehreren SB-Kassen bezahlt; auf der gegenüberliegenden Seite gibt es drei klassische Bedienkassen mit Laufband, die bei meinem Besuch am Morgen aber unbesetzt blieben, sodass der Laden über die separate SB-Kassenzone verlassen werden musste.
Allerdings ohne die Kundschaft zum Selbstkassieren zu zwingen: Wer wollte, konnte auch an der dort positionierten Stehkasse bei einem Mitarbeiter bezahlen, der gleichzeitig SB-Aufsichtspflicht hatte und Pfandbons verrechnete. (Die sind an den SB-Kassen offensichtlich gesperrt.)
An sämtlichen Eingängen gibt es stapelweise rollbare Einkaufskörbe zum Mitnehmen (wie sie auch anderen Lidl-Filialen mit SB-Kassen guttäten); mit einem Buddy-Bär in den Unternehmensfarben signalisiert Lidl Hauptstadtverbundeheit; und überall, wo ein paar Zentimeter frei sind, nistet sich wieder ein Zusatzvorrat an Energy Drinks ein.
Pfandflaschenabgabe vor Nylonstrumpfhosen
Sein Warenhaus-nahes Nonfood-Angebot hat Lidl passenderweise am Ausgang zur Partnerfläche positioniert. Dennoch entbehrt es nicht einer gewissen Gewöhnungsbedürftigkeit, hinter der Pfandflaschenabgabe Nylonstrumpfhosen erwerben zu können, von den Hyazinthen und dem Sonnenblumenöl direkt zu den teuren Business-Taschen geschickt zu werden und nach drei Schritten aus dem Galeria-Reisebüro vorm Toilettenpapier zu landen.
Eine Bereicherung für den Standort ist die Symbiose aus Discounter und klassischem Warenhaus aber ohne Frage – und zwar nicht nur für Feuerwehrleute, wie die Besucher:innenfrequenz bei meinem Besuch nahelegte.
Zumal die Lösung einer Verkaufsfläche mit Zwei-Wege-Auslass und flexibel einsetzbaren Kassenlösungen auch andernorts eine echte Bereicherung sein könnte. (Wie praktikabel sie im Diebstahl-anfälligen Alltag ist, wird sich noch herausstellen müssen.)
Der Partner sieht dagegen alt aus
Ein etwas ungünstiger Nebeneffekt ist hingegen, dass der Partner Galeria mit seinem stark in die Jahre gekommenen Verkaufsraumdesign gegen den hell ausgeleuchteten, schlaue konstruierten Discount-Untermieter jetzt noch etwas älter und aus der Zeit gefallener aussieht als es ihm eigentlich zur nachhaltigen Umsatzgenerierung lieb sein kann.
Aber falls die – auch mithilfe von Partnern wie Lidl – gelänge, dürften schnell weitere Innenstadt-Filialen des Konzerns zur Discounter-Teilverwertung in den Fokus rücken.
Wobei es Lidl ebenso recht und billig sein müsste, wenn dieses Kooperationsmodell auch bei anderen Unternehmen anschlussfähig würde. Dann müsste man sich die frühere Galeria-Geschäfstfront in der Augsburger Straße nämlich nicht mehr mit dem tristen Leerstand teilen, den die Fahrrad.de-Insolvenz auf der Warenhaus-Fläche direkt daneben gerissen hat, die nun „zu vermieten“ ist. (Die „Lebensmittel Zeitung“ hatte im vergangenen Jahr Ikea mit seinem Planungsstudio-Konzept als möglichen weiteren Galeria-Partner ins Spiel gebracht.)
Der Warenhaus-Lidl um die Ecke vom Bahnhof Zoo zeigt nun erstmal eindrucksvoll, wie auch stark durchformatierte Discount-Konzepte adaptierbar sein können, um an ungewohnten Standorten zu funktionieren. Es müssen ja vielleicht nicht jedes Mal sechs Türen und vier Eingänge sein.