Bernd Ziesemer: Zahlentricksereien auf Befehl Xi Jinpings
Chinas offizielle Statistiken sagen immer weniger aus. Die heimischen Experten müssen „patriotische“ Zahlen abliefern
Chinas offizielle Statistiken sagen immer weniger aus. Die heimischen Experten müssen „patriotische“ Zahlen abliefern
Wenn man den offiziellen Meldungen aus Beijing trauen könnte, dann lieferte die chinesische Wirtschaft gerade eine exakte Punktlandung ab: 5,00 Prozent Wachstum meldet die Statistikbehörde für 2024, so wie von der herrschenden KP Chinas als Ziel vorgegeben. Doch: Den Zahlen kann man nicht trauen. Auf Befehl von Xi Jinping behandeln die Statistiker alle Daten als Politikum. Und ihre Interpretation hat den „patriotischen“ Auflagen zu folgen, die aus dem innersten Kreis der Macht auf alle chinesischen Banken, Wertpapierhäuser, Research-Einrichtungen und Ökonomen an den Universitäten niederregnen.
Früher war das anders. Zwar galt für den politischen Apparat der KP Chinas schon immer die Devise, dass nichts über seine inneren Diskussionen nach außen dringen dürfe. Doch in der Wirtschaft und in der Finanzsphäre gab es lange Zeit ein hohes Maß an Transparenz. Dahinter steckte die richtige Erkenntnis, dass Ausländer nur dann in China investieren, wenn sie sich auf die offiziellen Daten verlassen können und eine weitgehend offene Diskussion über ihre Interpretation möglich ist.
Nach seinem Machtantritt konzentrierte sich Xi Jinping zunächst darauf, seine Herrschaftsclique noch stärker nach innen und außen abzuschotten. Unter seinen Vorgängern drangen noch Einzelheiten einiger Debatten in die Öffentlichkeit, ja gelegentlich sogar Kritik am jeweiligen obersten Führer. Das gibt es heute nicht mehr. Selbst die Zeitungen in Hongkong, früher wohl informiert über die Vorgänge in der KP Chinas, liegen inzwischen an der Kette. Mit der Folge, dass wir im Westen buchstäblich nichts mehr über die internen Diskussionen in den obersten Gremien der Macht wissen.
China fordert patriotische Interpretation der Daten
Seit einigen Jahren macht sich Xi Jinping nun daran, auch die freie Berichterstattung über chinesische Unternehmen, Banken und die Gesamtwirtschaft immer weiter einzuschränken. So verbietet ein Gesetz, das angeblich dem Schutz von wichtigen Staatsgeheimnissen vor dem Ausland dienen soll, tiefergehende Recherchen. Vor kurzem erging ein ausdrücklicher Befehl von oben an chinesische Analysten, ausländischer Kritik am Zustand der chinesischen Wirtschaft keine Nahrung zu liefern. Die „patriotische“ Interpretation aller Daten wird damit zur Pflicht erklärt. Wer gegen diese Auflage verstößt, kann schlimmstenfalls im Gefängnis landen.
Je schlechter es der Wirtschaft geht, umso weniger gesicherte Informationen dringen noch in Ausland. Das gilt zum Beispiel für die faktische Pleite nahezu aller großen Immobiliengesellschaften. Hier greift das Rechercheverbot für Ausländer besonders – schließlich sind viele dieser Konzerne mit den mitunter korrupten Familien chinesischer Führer verbunden. Aber auch sonst wird es immer schwerer, sich ein klares Bild zu verschaffen. Selbst den Börsensignalen kann man in China nicht mehr vertrauen, seit die Regierung hinter den Kulissen im großen Ausmaß Aktionen zur Stützung der Kurse organisiert.
Dass die Direktinvestitionen aus dem Ausland massiv zurückgehen, hat auch mit der wachsenden Intransparenz zu tun. Sie erhöht das Risiko auf einem Markt, auf dem Insider schon immer einen großen Informationsvorsprung nutzen konnten. Offenbar glauben nur noch einige große deutsche Konzerne wie VW oder BASF den offiziellen Zahlen aus China. In den letzten Monaten aber reagierten auch sie überrascht auf manche Meldungen aus der Volksrepublik. Auch bei diesen, den letzten ausländischen Großinvestoren, wächst die Unsicherheit. Sie spüren, dass etwas mit den angeblichen fünf Prozent Wachstum nicht stimmt.