Wenn du denkst, Stromimporte seien ein Problem, bist du manipuliert worden
Wir importieren STÄNDIG Strom. Jedes Jahr, jeden Monat, ja sogar jeden Tag. Nach dem Abschalten der AKW 2011 und 2021 exportierten wir MEHR Strom als davor. Und wir importieren fast alles an Gas, Öl und Steinkohle. Aber wenn wir einen kleinen Teil mehr Strom importieren als exportieren inszenieren BILD, Spahn & Co. einen Skandal. Leute, ihr müsst jetzt… Weiterlesen Wenn du denkst, Stromimporte seien ein Problem, bist du manipuliert worden The post Wenn du denkst, Stromimporte seien ein Problem, bist du manipuliert worden appeared first on Volksverpetzer.
Wir importieren STÄNDIG Strom. Jedes Jahr, jeden Monat, ja sogar jeden Tag. Nach dem Abschalten der AKW 2011 und 2021 exportierten wir MEHR Strom als davor. Und wir importieren fast alles an Gas, Öl und Steinkohle. Aber wenn wir einen kleinen Teil mehr Strom importieren als exportieren inszenieren BILD, Spahn & Co. einen Skandal.
Leute, ihr müsst jetzt ganz tapfer sein! Viele wissen es schon, aber jenen von euch, die zu seriöse Zeitungen lesen und nur selten auf Facebook unterwegs sind, könnte eine schockierende Nachricht entgangen sein: Deutschland hat letztes Jahr … Es hat … ES HAT STROM IMPORTIERT! *Düsteres Donnergrollen*.
Wir importieren ständig Strom. Schon immer. War nie ein Problem
Ja, das ist bitter. Holt euch gerne einen Anti-Stress-Ball, einen Baldrian-Tee oder harte Drogen, wenn euch die Nachricht sonst zu sehr mitnimmt. Strom. Importiert. Einfach so! Ich verlinke euch weiter unten eine Spotify-Playlist mit beruhigenden Regengeräuschen, Vogelgezwitscher und Wellenrauschen, damit könnt ihr den ersten Schock überwinden.
Sollte das alles nicht helfen, könnten diese Fakten vielleicht helfen, die Nichtigkeit dieser Nachricht korrekt innerhalb einer Neuigkeitswert-Skala auf minus zehn einordnen:
Wir importieren STÄNDIG Strom. Jedes Jahr, jeden Monat, ja sogar jeden Tag. Sogar an Tagen wie dem 13.10.2024, an denen die erneuerbaren Kraftwerke allein mehr Strom erzeugen als Deutschland insgesamt verbraucht und wir Rekordmengen ins Ausland exportieren, importieren wir gleichzeitig in jeder Stunde Strom. Wir machten das mit Atomkraftwerken und ohne, an trüben Tagen und an sonnigen, im Sommer mehr, in Winter weniger.
Wie BILD, Spahn & Co. euch belügen
Wenn die Bildzeitung es ehrlich damit meinen würde, wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen in der Redaktion auf- und abzurennen, sobald eine Kilowattstunde über die Grenze fließt, müssten die seit 1958 in Alarmbereitschaft sein. In diesem Jahr wurden die ersten deutschen Hochspannungsleitungen mit Frankreich und der Schweiz zusammengeschlossen, sodass wir mit unseren Nachbarländern Strom tauschen können. Ziel dieser Übung war, dass Deutschland Strom importieren und exportieren kann.
Natürlich mein die BILD es nicht ehrlich, denn die gespielte Aufregung wird erst vorgetragen, seit die letzten Atomkraftwerke vom Netz genommen wurden und Jens Spahn regelmäßig vergisst, im Juni 2011 selbst für diese Abschaltung votiert zu haben. Nach dem Reaktorunglück von Fukushima gingen unsere Importe von 2010 auf 2011 übrigens auch schon mal hoch. Reaktion bei der BILD: Grillenzirpen, Gähnen, eine Wüstenhexe rollt vorbei. Ob das was damit zu tun, dass es damals nicht Robert Habeck war, der sie abgeschaltet hat?
„Strombettler“-Lügen
Wie auch immer: Stromimporte sind absolut alltäglich. Womit das Jahr 2024 heraussticht, ist, dass wir verglichen mit den früheren Jahren klar mehr importiert als exportiert haben. Aber auch das ist so schlecht als Aufreger geeignet wie die Nachricht, dass wir mehr Tomaten, Pflanzenöl oder Klamotten importiert haben.
Die mitschwingende Idee ist bei diesen „Hilfe, der Stromimport macht mich ganz traurig“-Meldungen ja, dass Deutschland deswegen angeblich schwach ist, während ein starkes, stolzes Land es gar nicht nötig hätte, etwas zu importieren. Vermutlich auch daher die Wortschöpfung „Strombettler“, mit der Bild und Jens Spahn gerne Deutschland-Bashing betreiben.
Der Witz ist: Wenn wir es unbedingt wollten, könnten wir auch den deutschen Bedarf nach Tomaten und Klamotten ganz allein mit nationalen Mitteln decken. Der Grund, dass wir das nicht tun, ist, dass Tomaten und Klamotten aus dem Ausland viel billiger sind. Aber das war nicht immer so, wir haben früher auch den Großteil unserer Kleidung selbst hergestellt.
Als wir 2011 8 AKW abstellten, exportierten wir danach MEHR Strom
Ich bekomme viele Direktnachrichten mit Bildern des Importsaldos der einzelnen Jahre zugeschickt. Saldo bedeutet hier Import minus Export. Ein positiver Wert heißt, wir haben mehr importiert als exportiert, ein negativer Wert das Gegenteil. Das sieht für 2002 bis 2024 so aus:
Ja, am Strommarkt hat sich in den letzten Jahren offensichtlich etwas verändert, aber die Idee, das läge nur an den Anfang 2023 stillgelegten Atomkraftwerken (3 Stück), passt nicht zu diesen Zahlen: Wir haben 2011 ja noch viel mehr Atomkraftwerke abgestellt, 8 auf einmal, woraufhin sich keine so große Veränderung eingestellt hat.
Noch eindeutiger: Ende 2021 haben wir ebenfalls 3 Atomreaktoren abgestellt und unsere Stromexporte STIEGEN im darauffolgenden Jahr deutlich an (das lag auch an der schwächelnden französischen Atomflotte). Die allzu simple Logik weniger Atomkraft –> mehr Stromimporte scheint also nicht aufzugehen.
Sollten euch diese violetten Balken dennoch beunruhigen: Sie sind ein kleiner Teil unseres gesamten Stromverbrauchs. Hier seht ihr unseren kompletten Stromverbrauch, und auch hier sind unsere Exporte bzw. Importe violett ganz unten eingezeichnet:
Ja, das ist also kein Grund, wie die Bild-Zeitung einen ausgeflippter-Hühnerhaufen-Nachahmungswettbewerb auszurufen, denn selbst im Rekordjahr 2024 waren das gerade mal 5,7 PROZENT unseres Stromverbrauchs.
Wir importieren fast alles an Öl, Gas und Steinkohle
Auch der Vergleich mit anderen Größen lädt nicht gerade zur Eskalation ein, unsere Stromimporte machen …
- 5,7 Prozent unseres Stromverbrauchs aus (2024)
- 1,5 Prozent unserer Energieimporte aus (im Jahr 2023, gemessen am Energiegehalt)
- 0,5 % des Geldwertes all unserer Importe aus (2023)
Sie sind kein auch besonders hoher Anteil im Vergleich zur Importquote anderer Länder (Italien importiert 19 Prozent seines Stroms, Luxemburg 75 Prozent, das Vereinigte Königreich 14 Prozent). Gänzlich absurd wird die ganze Nummer, wenn wir das mit unseren Anteilen bei den fossilen Rohstoffen vergleichen. Wir importieren
Das ist dann übrigens wirklich ein Problem, denn die Regierungen der größten Ölförderländer der Welt (USA, Saudi-Arabien, Russland) finden in unserer liberalen Demokratie immer weniger Gefallen, ihnen wollen wir nicht wirklich ausgeliefert sein.
Es gibt auch Menschen, die sich nicht wegen der Importe selbst sorgen, sondern weil sie es als Anzeichen dafür sehen, dass unsere Versorgung nicht sicher sei. Hierfür sind Importe allein aber kein guter Indikator, denn wir importieren dann Strom, wenn das günstiger ist, als ihn selbst herzustellen.
Wir bräuchten keine Stromimporte. Dann wäre aber unser Strom teurer
Auch an einem Tag ganz ohne Strom aus Wind und Solarkraft haben wir genug Kraftwerke im Land, die unabhängig vom Wetter laufen (Wasser, Biomasse, Kohle, Gas, Öl, Müllverbrennung), um damit den deutschen Bedarf zu decken. Es ist nur so: Um das ganz allein zu machen, muss mittlerweile eine ganze Reihe Gaskraft zugeschaltet werden und das ist die teuerste Stromart. Es ist also kein „teurer“ Rekord, wie die Bild behauptet, sondern günstiger für uns alle.
Wenn dieser Strom 11 Cent pro Kilowattstunde kostet (Näherung) und gleichzeitig französischer Atomstrom für (auf dem Papier) nur 6 Cent / Kilowattstunde auf dem Markt ist, dann kaufen wir den natürlich. Ich schreibe „auf dem Papier“, weil für den Erhalt dieses französischen Strompreises zuletzt dutzende Milliarden Steuergelder zugeschossen wurden. Aus deutscher Sicht machen die Französinnen uns mit ihrem Steuergeld also den Strom etwas günstiger – eigentlich eher aus französischer Sicht ein Grund, sich zu ärgern.
Weniger Stromimporte hätten sich gar nicht gelohnt
Wieso sollten wir extra ein Steinkohlekraftwerk hochfahren, wenn wir stattdessen auch feinsten Strom mit Baguette-Aroma einkaufen können? Und glaubt mir, das wäre absolut eine Option gewesen. Beziehungsweise, glaubt nicht mir, glaubt den Zahlen: Die deutschen Steinkohlekraftwerke haben sich 2024 unfassbar gelangweilt, sie liefen nur zu gerade mal 15 Prozent der Zeit. Wir hätten die auch auf 90 % fahren können (100 % geht in der Praxis nicht wegen Wartungen und Reparaturen) und die daraus entstehenden zusätzlichen 125 Terawattstunden Kohlestrom nach ganz Europa exportieren können. Damit hätten wir einen krassen Rekordwert für den Export erreicht, doppelt so viel wie der bisherige Rekord von 2017. Es hätte sich nur schlicht überhaupt nicht gelohnt, das zu tun.
Ihr könnte als gerne hinterfragen, ob wir unsere Marktgesetze generell etwas anpassen sollten (dazu gibt es Pläne) und ob es gar nicht so gut ist, wenn unser eigener Strom so teuer ist, dass wir immer öfter welchen importieren (looking at you, Altmaier-Delle). Aber darum geht es den Leuten, die Deutschland als Strombettler beschimpfen, ja nicht. Die behaupten, Importe seien per se schlecht, sie seien ein Zeichen dafür, dass wir vom Ausland abhängig seien und sie seien „teuer“. Das ist einfach ausgemachter Humbug. Oder eine kalkulierte Lüge.
Sind wir nicht. Es ist so nur einfach günstiger für uns.
Dieser Artikel erschien zuerst bei graslutscher.de. Artikelbild: Sebastian Willnow/dpa
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