Stegemann über die Grünen: „Kritik wird als Angriff auf den Staat und die Demokratie beklagt“

Unterliegen die Grünen einer „optischen Täuschung“? Ja, sagt der Dramaturg Bernd Stegemann im NachDenkSeiten-Interview. „Die optische Täuschung“, so der Kultursoziologe, „besteht darin, dass die Grünen ihrer eigenen Behauptung glauben, sie seien die besseren Menschen. Mit dieser Brille betrachten sie nun die Welt und fühlen sich dadurch berechtigt, ihre Mitmenschen moralisch abzukanzeln.“ Allerdings werde auf dieseWeiterlesen

Jan 24, 2025 - 14:15
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Stegemann über die Grünen: „Kritik wird als Angriff auf den Staat und die Demokratie beklagt“

Unterliegen die Grünen einer „optischen Täuschung“? Ja, sagt der Dramaturg Bernd Stegemann im NachDenkSeiten-Interview. „Die optische Täuschung“, so der Kultursoziologe, „besteht darin, dass die Grünen ihrer eigenen Behauptung glauben, sie seien die besseren Menschen. Mit dieser Brille betrachten sie nun die Welt und fühlen sich dadurch berechtigt, ihre Mitmenschen moralisch abzukanzeln.“ Allerdings werde auf diese Weise nur noch das gesehen, was ins Weltbild der Grünen passe. Mit scharfem Verstand und Bissigkeit hat sich Stegemann in seinem jüngsten Buch In falschen Händen – Wie Grüne Eliten eine ökologische Politik verhindern einer Partei angenommen, die wohl wie kaum eine andere die Doppelmoral kultiviert. Ein Interview über Wasser Predigen und Wein Saufen, Brandmauern und eine verlorene Hoffnung. Von Marcus Klöckner.

Herr Stegemann, es gibt Die Grünen. Und es gibt die Doppelmoral. Oder ist es angebracht, da überhaupt noch einen Unterschied zu machen?

Die Grünen sind die Partei eines bestimmten Milieus: Großstädtisch, akademisch und migrationsfreundlich. Aus dieser Mischung leiten sie ab, dass sie den Goldstandard der Moral verkörpern und darum berechtigt sind, der Restbevölkerung die Richtung zu weisen. Doch diese Moralpredigten an das Volk haben einen riesigen blinden Fleck. Das Durchschnittseinkommen der Grünen-Wähler gehört zu den höchsten in Deutschland, gleichauf mit der FDP.

Wenn wir über die Grünen und Doppelmoral sprechen, sind wir doch schon direkt bei Ihrem Buch, oder?

Das Problem von allen Moralaposteln ist, dass sie zu oft Wasser predigen und Wein trinken. Beim Grünen-Milieu bedeutet das beispielsweise, man predigt offene Grenzen für ungeregelte Migration und lebt in den teuren Stadtvierteln, wo kein Flüchtling sich eine Wohnung leisten kann. Man will überall Windräder bauen, und lebt in der Stadt. Man behauptet, das Weltklima zu retten, und schaltet die Atomkraftwerke ab. Man fordert, so wie gerade Robert Habeck, man solle achtsam miteinander umgehen, und schickt zugleich hunderte von Anzeigen an die Staatsanwaltschaft.

Ein Grundproblem in Bezug auf die Grünen scheint zu sein, dass das Etikett „Die Grünen“ etwas anderes verspricht, als sich dann darunter in Wirklichkeit verbirgt. Sehen Sie das auch so?

Die größte Überraschung besteht darin, dass die Grünen nicht Umweltpolitik machen, sondern eine Innenweltpolitik. Im Zentrum Grüner Politik steht nicht eine intakte Ökologie, sondern das reine Ich. Man will moralisch rein sein und in einer reinen Umgebung leben. Die überall eröffneten Meldestellen gegen „Hass und Hetze“ sind der Ausdruck dieser Grünen Reinheitsvorstellungen.

Wer sich an die Gründungszeit der Grünen erinnert, weiß: Die Grünen standen in erster Linie für Umweltschutz, aber auch für den Frieden. Der Name der Partei beinhaltet ja noch immer dieses Bild von einer ökologischen Partei. Und für den Frieden wollen die Grünen, angeblich, auch heute noch sein – irgendwie. Aber die Realität sieht doch so aus: Waffenlieferungen und Panzer an die Ukraine werden voll unterstützt. Über den CO2-Ausstoß eines Panzers wird da nicht geredet. Der Kniff: Es wird sich auf das moralische Podest gestellt und die Argumentation lautet: In der Ukraine geht es ja um Menschenleben.

Der Moralismus der Grünen hat zu einer inhaltlichen Orientierungslosigkeit geführt. Leitend sind nicht mehr die Gedanken einer ökologischen Politik, sondern die „Werte“. So hat Annalena Baerbock zu Beginn ihrer Amtszeit verkündet, sie wolle „feministische Außenpolitik“ machen. Niemand hat die Frage gestellt, warum eine Grüne Außenministerin, wenn sie schon Werte verkündet, nicht eine ökologische Außenpolitik macht.

Was sind Die Grünen heute? Wie verstehen Sie selbst die Partei und Ihre Anhänger?

Die Grünen sind eine Elitenpartei. Diesen Anspruch tragen sie offensiv vor sich her und daraus leiten sie das Recht ab, jeden zu verklagen, der sie kritisiert. Keine anderen Politiker – außer Frau Strack-Zimmermann von der FDP – erheben so viele Anklagen gegen ihre Kritiker wie die Grünen. Jede Kritik wird als Angriff auf den Staat und die Demokratie beklagt. In dieser Behauptung, dass die Grünen identisch sind mit dem Staat und der Demokratie, offenbart sich der Hochmut eines Milieus, das sich als Elite versteht.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass ein „empörtes Ich“ zum Maßstab werde und: „Die radikale Ich-Perspektive ist das Kennzeichen der Grünen“. Würden Sie das bitte näher erläutern?

Ökologische Politik würde bedeuten, dass man die Wechselwirkungen von Menschen und Welt bedenkt. Die Grünen haben daraus ein Projekt des Individualismus gemacht. Das bedeutet, dass die Ansprüche, die das Ich formuliert, zum Maßstab der Politik werden. Das grüne Ich will vor allem ein guter Mensch sein und andere Menschen dafür verurteilen, dass sie nicht so gut sind. Die reine Umwelt soll vor allem von missliebigen Meinungen befreit werden.

Und was ergibt sich aus diesem Grundverhalten?

Aus dieser auftrumpfenden Moral folgt, dass Grüne das Gegenteil von ökologischer Politik machen. Sie verwenden die Moral wie ein altmodischer Landwirt die Pestizide. Damit beseitigt er alle Pflanzen, damit auf seinem Acker nur noch eine Nutzpflanze wächst. Die Grünen wollen das soziale Ökosystem bereinigen. Sie ertragen nicht die Meinungsvielfalt, sondern wollen eine Gesellschaft, in der es nur noch eine Meinung gibt.

Mit dem Mund geben sich die Grünen tolerant, offen, rücksichtsvoll, treten lauthals gegen Faschismus ein, zeigen sich sensibilisiert gegenüber jeder Form von Gewalt, halten die Freiheit hoch. Wenn es aber um ihre politische Ansichten und deren Durchsetzung geht, dann zeigt sich ein anderes Gesicht. Ich zitiere Katrin Göring-Eckardt: „»Es gibt ja einige […] für die die allgemeine Impfpflicht […] immer ein Riesenproblem war. Für die wird es jetzt ein bisschen einfacher. Da gibt es nämlich eine Anweisung, und dann muss man das machen.«

„Anweisung“, „muss man das machen“ – das passt mit „my body – my choice“ und dem Freiheitsgedanken nicht zusammen.

Das ist nur ein Beispiel von unendlich vielen. Die doppelten Maßstäbe der Grünen finden sich in allen Bereichen. Man predigt Diversität, erträgt es aber nicht, wenn es auch nur einen Kommentar in den Tagesthemen gibt, der die Grünen kritisiert. Man fördert den Feminismus und verhindert Kritik an Islamisten, die einen anti-feministischen Gottesstaat errichten wollen. Man verlangt, dass die öffentlichen Schulen die Aufgabe der Integration bewältigen, und schickt die eigenen Kinder auf Privatschulen. Man will in deutschen Heizungskellern das Weltklima retten und behauptet, dass Grenzen nicht vor irregulärer Migration zu schützen seien.

Sie sprechen in Ihrem Buch auch von einer „optischen Täuschung“ innerhalb die Grünen-Milieus. Wie entsteht diese Täuschung? Und: Was bewirkt sie?

Die optische Täuschung besteht darin, dass die Grünen ihrer eigenen Behauptung glauben, sie seien die besseren Menschen. Mit dieser Brille betrachten sie nun die Welt und fühlen sich dadurch berechtigt, ihre Mitmenschen moralisch abzukanzeln. Durch die grüne Brille wird nur noch der Ausschnitt der Welt gesehen, der ins grüne Weltbild passt. Wer auf die Fehlstellen hinweist, ist ein schlechter Mensch und Populist, der nur der AfD nutzt.

Nimmt man die Wahlergebnisse zur Grundlage, sind die Anhänger der Grünen eine Minderheit. Andererseits wird die Politik der Partei mit einem ziemlichen Druck in die Öffentlichkeit gepresst. Das dürfte damit zu tun haben, dass es relativ viele Anhänger innerhalb der Medien gibt. So liegt es nahe, dass es zu einem Spannungsverhältnis zwischen der Medienrealität, der veranschlagten Politik und weiten Teilen der Gesellschaft kommt, die eben völlig anders auf ihr Leben und die gesellschaftspolitische Realität blicken. Wie sehen Sie das?

In einer jüngsten Umfrage haben sich 40 Prozent der deutschen Journalisten als Anhänger der Grünen bekannt. Das ist eine Schieflage, die in jeder Nachrichtensendung des ÖRR und in vielen Zeitungen zu besichtigen ist. Die AfD wird ohne Ausnahme als Gefahr dargestellt, Kritik an den Grünen muss man mit der Lupe suchen. Und sollte sie doch einmal stattfinden, hat sie meistens die Form eines Lobs. Dann wird den Grünen vorgeworfen, sie seien nicht radikal genug oder sie hätten sich vom Rechtsruck beeindrucken lassen. Aber in den meisten Fällen kommen die Grünen als Lieblingsthema vor. Jedes Video von Robert Habeck, wo er sich im Norwegerpullover an einen Küchentisch setzt, wird von den Leitmedien als Weltereignis gefeiert.

Die Grünen wollen ja auch unbedingt eine „Brandmauer“ gegenüber der AfD aufgebaut sehen. Was ist diesbezüglich Ihre Analyse? Warum ist diese Brandmauer für die Grünen so wichtig?

Die Brandmauer gegen die AfD hat, jenseits aller Diskussionen, wie berechtigt oder wie falsch sie sein mag, die Folge, dass es keine Koalitionen rechts der Mitte geben kann. D.h. es werden immer SPD oder Grüne für eine Regierungsmehrheit gebraucht. Dass gerade die Grünen so vehement auf der Brandmauer beharren, hat also machttaktische Gründe. Außerdem hilft die Panik vor Rechts dabei, die eigenen Wähler zu mobilisieren. Dass aktuell die Zustimmung für AfD und Grüne wächst, zeigt, wie symmetrisch diese beiden Parteien miteinander verbunden sind.

Wer sich die aktuellen Wahlprognosen anschaut, stellt fest: CDU/CSU, SPD, Grüne und die FDP haben zusammengenommen immer noch um die 60 Prozent der Wählerstimmen. Also allesamt Parteien, die für vorhandene Missstände Verantwortung tragen – denn sie waren lange in Regierungsverantwortung oder sind es noch derzeit. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

Das ist eine schwere Frage. In Stichworten würde ich sagen: Ermüdung durch die Politikerphrasen, das schamlose Ausnutzen der Meinungshoheit der grünen Eliten und die Panik vor der AfD führen auf allen Seiten zu unproduktiven Gefühlen. Die Bewahrer der Mitte fühlen sich von Feinden umstellt. Diejenigen, die etwas ändern wollen, werden reflexartig mit dem Label „Populismus“ als Feinde der Demokratie ausgegrenzt. Und die AfD arbeitet immer trotziger an ihrem Image der aggressiven Fundamentalopposition.

Alle Seiten behaupten, sie stünden im Endkampf um die Zukunft Deutschlands, der Welt und des Klimas, doch tatsächlich betreiben sie nur parteitaktische Empörung. Und wenn die Wahl gewonnen wurde, wird mit den immergleichen Begründungen weiterregiert wie schon zuvor: Man kann nichts ändern, denn die EU und die Gesetze, die sind halt so. Doch mit diesem Taumel zwischen Resignation und Panik verliert das politische System die Fähigkeit, in der komplizierten Gegenwart angemessen agieren zu können. Und wir Wähler verlieren die Hoffnung, dass sich noch etwas zum Guten wenden könnte.

Lesetipp: Bernd Stegemann: In falschen Händen – Wie Grüne Eliten eine ökologische Politik verhindern. Westend. 5. Jan. 2025. S. 160, 18 Euro.

Titelbild: Katrin Ribbe

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