Psychologie: Was Menschen anders machen, die ihr Leben unter Kontrolle haben
Je selbstbestimmter wir uns fühlen, umso besser geht es uns. Laut Forschung nimmt das durchschnittliche Empfinden, die Kontrolle über das eigene Leben zu haben, seit einigen Jahren allerdings ab. Warum das so ist, was es für uns bedeutet und wie wir selbst gegensteuern können.
Je selbstbestimmter wir uns fühlen, umso besser geht es uns. Laut Forschung nimmt das durchschnittliche Empfinden, die Kontrolle über das eigene Leben zu haben, seit einigen Jahren allerdings ab. Warum das so ist, was es für uns bedeutet und wie wir selbst gegensteuern können.
Rund um die Uhr erreichen uns schlechte Nachrichten aus aller Welt. Über diverse Kommunikationskanäle sind wir zu jeder Zeit erreichbar, möchten wir uns eine zeitlang zurückziehen, müssen wir das meist ansagen oder gar erklären. Die Arbeitswelt verändert sich immer rasanter, langfristige Perspektiven gibt es in kaum einem Berufszweig. Dafür steigen wiederum Lebenshaltungskosten und Mieten. In den sozialen Medien schauen wir Menschen dabei zu, wie sie sich fürs Klima engagieren, diszipliniert die perfekte Sportroutine einhalten, um die Welt reisen und in Luxusresorts absteigen oder die glücklichsten Kinder der Welt großziehen – und erkennen, wie glanzlos im Vergleich zu ihnen unser eigenes Leben erscheint.
Dies sind einige der Besonderheiten unserer Zeit, sagt die Psychologin Alexandra Zäuner, die uns das Gefühl vermitteln können, keine Kontrolle über unser Leben zu haben. "Mir scheint aufgrund meiner Erfahrungen aus der Praxis, dass sich viele Menschen in der aktuellen Zeit fremdbestimmter fühlen als vor einigen Jahrzehnten", sagt sie. Ein Eindruck, den derzeit offenbar viele Expert:innen teilen und der sich auch in Studien bestätigt.
Kontrolle in der Psychologie: Was ist der "Locus of Control"?
Ein wichtiges Konzept der Psychologie, um Individuen zu begreifen, ist der sogenannte "Locus of Control" (LoC) oder die "Kontrollüberzeugung". Es geht zurück auf den Psychologen Julian Rotter, und ihm zufolge kann unser LoC intern oder extern sein: Bei einem internen LoC haben wir das Gefühl, über Kontrolle zu verfügen, bei einem externen LoC fühlen wir uns fremdbestimmt und ausgeliefert. Um die Kontrollüberzeugung von Menschen zu messen und zu vergleichen, hat Julian Rotter in den 1960ern einen Fragebogen entwickelt, in dem Proband:innen für eine ganze Liste von Aussagepaaren jeweils eine der beiden Aussagen auswählen sollen. Die Satzpaare sind jeweils so gestaltet, dass eine Aussage einen externen LoC abbildet, die andere einen internen. Ein Beispiel für ein solches Paar ist das folgende:
- Extern: Viele der unglücklichen Dinge in den Leben von Menschen sind teilweise auf Pech zurückzuführen.
- Intern: Das Unglück von Menschen resultiert aus den Fehlern, die sie machen.
Basierend auf der Auswahl der Aussagen einer Testperson können Forschende schließlich einen Wert errechnen, der ihre Kontrollüberzeugung als eher intern oder extern ausweist.
Der US-amerikanische Psychologe Stephen Nowicky berichtet nun in einem Artikel für "Psychology Today" von einer Befragung, die er unter seinen Studierenden durchgeführt hat: Ihr LoC-Wert sei deutlich externer gewesen als der Wert von Teilnehmenden einer Studie von Julian Rotter. Die Umfrage unter den Studierenden habe sogar einen externeren LoC ergeben als eine Erhebung unter Gefängnis-Insassen in den 1960er-Jahren. Andere Studien, die in den vergangenen paar Jahren stattgefunden haben, zeichnen ein ähnliches Bild.
Sich fremdbestimmt zu fühlen, hat vor allem Nachteile
Alexandra Zäuner vermutet einen Zusammenhang zwischen der offenbar gesunkenen internen Kontrollüberzeugung und dem Anstieg psychischer Krankheiten in den letzten Jahren. Und dafür hat sie gute Gründe: Seit Forschende das Konzept der Kontrollüberzeugung verwenden, haben sich zahlreiche Hinweise gesammelt, dass sich ein interner LoC tendenziell positiv für uns auswirkt. Von akademischen und beruflichen Erfolgen über das gesundheitliche Befinden bis hin zu Beziehungen und Lebenszufriedenheit, eine ausgeprägte interne Kontrollüberzeugung scheint in den meisten Bereichen wünschenswert für uns zu sein.
Doch wenn äußere Umstände wie die oben genannten unseren LoC verschieben können, muss er doch beweglich sein. "Wir können unsere interne Kontrollüberzeugung stärken, indem wir gewisse Strategien und Prinzipien gezielt in unser Leben und Denken einfließen lassen", sagt Alexandra Zäuner. Folgende erachtet sie als besonders wirksam.
8 Geheimnisse von Menschen, die Kontrolle über ihr Leben haben
Sie treten der Welt mit einer positiven Einstellung entgegen
"Negative Gedanken können als innere Stressverstärker das Gefühl des Kontrollverlustes ansteigen lassen, positive Gedanken stärken dagegen ein Gefühl der Selbstbestimmung und Kontrolle", sagt die Psychologin. Wer sich angewöhnt zu denken "ich schaffe das schon, ich mache eins nach dem anderen", kann langfristig nicht nur erfolgreicher, sondern auch gesünder leben als Menschen mit "das ist mir alles zu viel, ich kann das nicht"-Denk-Reflexen.
Sie nehmen sich Zeit für wohltuende Gewohnheiten
Für viele Menschen sieht Alexandra Zäuner in folgenden Routinen einen großen Vorteil für die interne Kontrollüberzeugung sowie das psychische Wohlbefinden:
(Selbst-)Reflexion. Über die eigenen Gefühle und Bedürfnisse nachzudenken und sich zu vergegenwärtigen, welche unserer Handlungen zu positiven Ergebnissen geführt haben, könne das Bewusstsein für eigene Erfolge stärken und unser Vertrauen in die eigene Einflussnahme fördern, so die Psychologin.
Anstehende Aufgaben aufschreiben. Um unseren "kognitiven Arbeitsspeicher" frei zu halten, empfiehlt Zäuner, To-dos aufzulisten, anstatt sie lediglich im Kopf behalten zu wollen. Das mindere einerseits Anspannung und erzeuge andererseits ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle, da wir die Gefahr ausschließen, etwas zu vergessen. Davon abgesehen stärke das Abhaken von erledigten Punkten unsere Kontrollüberzeugung und vermittle uns ein angenehmes Gefühl, so die Psychologin.
Tagesplanung. Worauf lege ich heute die Priorität? Was kann ich gut schaffen? Was lasse ich sein oder übergebe es an andere Personen? Zäuner findet es sinnvoll, dass wir uns am Morgen etwa zehn Minuten Zeit dafür nehmen. Es lässt uns erleben, dass und wie wir den vor uns liegenden Tag gestalten und bewältigen können.
Feierabendritual. Um die Arbeit gedanklich im Büro zu lassen, empfiehlt die Psychologin ein bewusstes Ritual, zum Beispiel den Arbeitsplatz zu lüften, ein paar tiefe Atemzüge zu tätigen oder sich aktiv zu sagen "jetzt ist Feierabend".
Sie beschränken ihren Medienkonsum auf bestimmte Zeitfenster
Laut Alexandra Zäuner könne es die Kontrollüberzeugung stärken, den eigenen Konsum von Nachrichten bewusst zu gestalten, anstatt willkürlich über den ganzen Tag verteilt aufzunehmen, was auf uns einströmt. Da wir ohnehin nicht alles mitbekommen und verarbeiten können, was auf der Welt passiert, lohnt es sich, aktiv zu entscheiden, was uns interessiert und welche Nachrichten und Informationen wir ausblenden.
Sie stärken gezielt ihr positives Auge
Laut der Psychologin neigen wir dazu, die Dinge mit unserem "negativen Auge" zu betrachten: Was wir nicht geschafft haben, was wir hätten tun sollen, was nicht so gut lief. In ähnlicher Weise stellen wir unsere Schwächen meist mehr in den Fokus als unsere Stärken. Um unsere Kontrollüberzeugung zu stärken, sei es sinnvoll, gezielt die Perspektive zu wechseln: Was habe ich heute alles geschafft? Was hat gut geklappt?
Sie nehmen sich bewusst schöne Unternehmungen vor
"In meinen vollsten Wochen plane ich persönlich ganz bewusst meine Highlights ein, um diese Zeit gut und mit genügend Energie erleben zu können", sagt Alexandra Zäuner. Momente zu schaffen, die wir genießen und in denen wir Freude empfinden, und zu bemerken, dass wir diese herausfordernde Zeiten schaffen, stärke unsere Kontrollüberzeugung. Es lässt uns spüren, dass wir unser Leben gestalten können.
Sie reden sich selbst Mut zu
Konstruktive Selbstgespräche könnten einen positiven Effekt auf unseren Locus of Control haben, so Alexandra Zäuner. Anstatt uns etwa selbst dafür zu verurteilen, wenn wir uns nicht so verhalten haben, wie wir es uns gewünscht hätten, können wir zunächst einmal versuchen zu verstehen, warum es uns nicht gelang. In einem nächsten Schritt können wir überlegen, was wir das nächste Mal in einer ähnlichen Situation anders machen möchten und was wir dafür brauchen, um es zu schaffen.
Sie üben sich in Achtsamkeit
"Gedanklich befinden wir uns häufig in der Zukunft oder in der Vergangenheit, aber selten in der Gegenwart", sagt Alexandra Zäuner. Achtsamkeitsübungen seien eine gute Möglichkeit, um für eine (selbst-)bestimmte Zeit die Gegenwart zu erleben. "Meine liebste Achtsamkeitsübung besteht darin, innerlich zu beschreiben, was ich jetzt gerade sehe, höre, rieche, schmecke und fühle", so die Psychologin.
Sie atmen bewusst
Über unsere Atmung können wir laut Zäuner Einfluss auf unseren Stresspegel nehmen und unser Kontrollerleben fördern. Indem wir tief in Brust und Bauch atmen, kurz innehalten und doppelt so lang wieder ausatmen, helfen wir unserem Organismus zu entspannen. Und entspannt fühlen wir uns freier und selbstbestimmter als unter dem sprichwörtlichen Strom.