Expertenrat: Fortschritte beim Klimaschutz nicht ausreichend
Deutschland muss mehr tun für den Klimaschutz, vor allem in den Sektoren Verkehr und Gebäude, so ein aktueller Bericht des Expertenrats für Klimafragen. Der Beitrag Expertenrat: Fortschritte beim Klimaschutz nicht ausreichend erschien zuerst auf Elektroauto-News.net.
Der Expertenrat für Klimafragen hat heute sein Zweijahresgutachten veröffentlicht. Darin untersucht er im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags die Entwicklungen und Trends der Treibhausgasemissionen und bewertet die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und sozialen Verteilungswirkungen. Darüber hinaus gibt der Expertenrat eine Einordnung zur Ausrichtung der zukünftigen Klimaschutzpolitik Deutschlands und formuliert dabei Anforderungen an das Klimaschutzprogramm, das eine neue Bundesregierung innerhalb des ersten Jahres der Legislaturperiode vorlegen muss.
Der Trend des Rückgangs der Treibhausgasemissionen von 2014 bis 2023 hat sich demnach im Vergleich zur Dekade 2010 bis 2019 beschleunigt. Der Expertenrat sieht Fortschritte beim Aufbau eines neuen, nicht-fossilen Kapitalstocks, insbesondere in der Energiewirtschaft. In der Industrie waren vor allem höhere Energiepreise sowie konjunkturelle und strukturelle Nachfragerückgänge für die Emissionsminderung verantwortlich.
In den beiden Sektoren Gebäude und Verkehr hingegen ist die Emissionsminderung weiterhin unzureichend, was in erster Linie auf den schleppenden Umbau hin zu einem nicht-fossilen Kapitalstock zurückzuführen ist. Dies ist vor allem kritisch in Hinblick auf das Erreichen der nationalen Ziele unter der EU-Lastenteilung. Hier werde die Zielerreichung künftig nicht allein durch den europäischen Emissionshandel EU-ETS 2 sichergestellt werden können, es dürften zusätzliche Maßnahmen erforderlich sein. Ebenso problematisch ist dem Expertenrat zufolge die Entwicklung im Sektor Landnutzung, der eine Nettoquelle statt, wie eigentlich geplant, eine Nettosenke darstellt. Neue Daten zeigen, dass diese Quellwirkung in den vergangenen Jahren sogar um ein Vielfaches höher war als bisher angenommen.
Insgesamt haben sich klimapolitische Anstrengungen erkennbar verstärkt, erkennt der Expertenrat an. In den vergangenen zwei Jahren wurde eine Reihe von Klimaschutzmaßnahmen substanziell novelliert oder neu eingeführt. Der Schwerpunkt lag dabei auf fiskalischen sowie regulatorischen Instrumenten. Allerdings hat sich der Instrumentenmix dabei nur geringfügig verändert.
Die neuen Maßnahmen zielen vorwiegend darauf ab, den bestehenden fossilen Kapitalstock durch nicht-fossilen Kapitalstock zu ersetzen und dabei bestehende industrielle Strukturen zu erhalten. Verhaltensbasierte Minderungspotenziale, also eine gezielte Verringerung und Veränderung von Aktivitäten vor allem in den Nachfragesektoren Gebäude und Verkehr, werden noch zu wenig adressiert.
„Klimapolitik muss breiter gedacht werden“
Angesichts der neuen geopolitischen Lage sowie der konjunkturellen und strukturellen Schwäche der deutschen Wirtschaft treten die Zielkonflikte der Klimaschutzpolitik mit anderen Politikfeldern zunehmend zu Tage. Zugleich sind die Folgen des Klimawandels immer deutlicher zu spüren.
„Angesichts der erheblich veränderten Rahmenbedingungen und der starken Wechselwirkung mit anderen Politikfeldern muss Klimapolitik breiter gedacht werden. Die umfassende Einbettung klimapolitischer Maßnahmen in eine politische Gesamtstrategie ist jetzt wichtiger denn je“, betont der Vorsitzende Hans-Martin Henning.
Zu dem Zweck empfiehlt der Expertenrat einen zentralen Koordinierungsmechanismus, zum Beispiel über die Wiedereinführung des Klimakabinetts, zur besseren Integration verschiedener Politikfelder. Zudem regt er die Einführung eines systematischen Monitoring- und Evaluationssystems an, das die Wechselwirkungen mit anderen Politikbereichen analysiert und Zielkonflikte offenlegt. „Für die zukünftige Ausgestaltung von Klimaschutzprogrammen müssen mögliche Zielkonflikte aber auch Synergien und Co-Benefits mit der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik einbezogen und in den gesellschaftlich-politischen Diskurs eingebracht werden”, führt Henning aus.
Die Frage nach der Finanzierbarkeit muss nach Ansicht des Expertenrats bei der Planung und Priorisierung von Klimaschutzmaßnahmen eine zentrale Rolle spielen. Der Expertenrat hat hierzu auf Basis mehrerer Studien die Investitionsvolumina insgesamt und speziell der öffentlichen Hand beziffert. Er verweist auf die hohen Investitionssummen für die Transformation hin zur Treibhausgasneutralität.
„Die Analyse der betrachteten Studien zeigt, dass die projizierten Investitionen einen relevanten Anteil der erwarteten Wirtschaftsleistung Deutschlands ausmachen würden. Um zu beurteilen, in welchem Umfang und wie Transformationsinvestitionen gestemmt werden können, sollte die Bundesregierung deshalb in ihrer mehrjährigen Finanz- und Wirtschaftsplanung diese ausdrücklich berücksichtigen”, so Ratsmitglied Thomas Heimer. Dabei weist er zugleich auf die große Bedeutung von Innovationen hin.
Soziale und ökonomische Verteilungswirkungen von Maßnahmen im Blick behalten
Vertieft hat sich der Expertenrat mit den sozialen und ökonomischen Verteilungswirkungen befasst. Diese betreffen zum einen die internationale Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere der energieintensiven Branchen. In diesem Zusammenhang betont der Expertenrat die Notwendigkeit, Klimaschutzpolitik und die Gestaltung des Strukturwandels miteinander zu verzahnen. Zum anderen richtet sich der Blick auf die Betroffenheit der privaten Haushalte, insbesondere vulnerable Gruppen innerhalb der Gesellschaft.
„Private Haushalte sind vor allem in den Nachfragesektoren Gebäude und Verkehr von finanziellen Auswirkungen verschiedener Maßnahmen betroffen. Zudem weisen einige Maßnahmen ein soziales Ungleichgewicht auf, so wurden bisher primär einkommensstarke Haushalte gefördert“, merkt die stellvertretende Vorsitzende Brigitte Knopf an. „Diese negativen Verteilungswirkungen könnten durch steigende CO2-Preise noch verstärkt werden. Daher sind zusätzliche Unterstützungs- und Kompensationsmaßnahmen erforderlich.“ Der Expertenrat empfiehlt, die sozialen Auswirkungen bei der Ausgestaltung klimapolitischer Maßnahmen künftig stärker mit einzubeziehen.
„Deutschland ist in Sachen Klimapolitik noch lange nicht auf der Zielgeraden“
Nach Veröffentlichung des Zweijahresgutachtens durch den Expertenrat für Klimafragen kommentierte Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): „Das Gutachten des Expertenrats zeigt, dass Deutschland in Sachen Klimapolitik noch lange nicht auf der Zielgeraden ist. Vor allem der Verkehrs- und Gebäudebereich hinken hinterher. Dass im Wahlkampf so wenig über Klimaschutz gesprochen wird, ist vor diesem Hintergrund unverständlich“, so Bandt. „Geradezu absurd“ seien die Ankündigungen der Union, zentrale Klimaschutz-Hebel wie das Heizungsgesetz und den Verbrenner-Kompromiss bei einer Regierungsbeteiligung wieder rückgängig machen zu wollen.
„Anstatt am Klimaschutz zu sägen, muss eine zukünftige Bundesregierung endlich ins Handeln kommen. Es braucht eine verlässliche und sozial ausgestaltete Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen, ein starkes Klimaschutzgesetz, das mit verbindlichen Sektorzielen klare Verantwortlichkeiten definiert und ein wirksames Klimaschutzprogramm“, so Bandt weiter. „Menschen, Unternehmen und Kommunen brauchen Planungssicherheit. Klimafreundliche Lösungen müssen für alle möglich und zugänglich sein. Denn auch das zeigt das Gutachten: Die bisherige Klimaschutz-Strategie führt zu sozialen Schieflagen.“
Um das 2030-Ziel aus dem Klimaschutzgesetz zu erreichen, wäre im Vergleich zum Trend der vorangegangenen zehn Jahre ab dem Jahr 2024 im Verkehrsbereich eine 5-fach und im Gebäudebereich eine 6,5-fach so hohe Minderungsrate pro Jahr notwendig.
Der BUND appelliert daher an die Vernunft der politischen Entscheider:innen: „Sorgen Sie für zukunftssichere Investitionen etwa in effiziente Gebäude, nachhaltige Mobilität, erneuerbare Energien und eine fossilfreie Industrie – statt sich an klimaschädlichen und kurzsichtigen Geschäftsmodellen auszurichten.“
„Wir brauchen entschlossene Maßnahmen für eine echte Mobilitätswende“
Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert nach der Veröffentlichung des Zweijahresgutachtens des Expertenrats eine deutliche Nachschärfung beim Klimaschutz und konkrete Maßnahmen besonders für den Verkehrs- und Gebäudesektor. „Wir brauchen schnell weitere konkrete Entscheidungen für mehr Klimaschutz, damit die vom Gesetz verbindlich vorgeschriebenen Klimaziele erreicht werden. Bereits im vergangenen Jahr wurde die Bundesregierung aufgrund unserer Klimaklagen mehrmals zu verbindlichen weiteren Klimaschutzmaßnahmen verurteilt. Aber anstatt das Klimaschutzprogramm entsprechend nachzuschärfen, hat die Bundesregierung das Klimaschutzgesetz entkernt“, kommentiert Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der DUH.
„Das Gutachten des Expertenrats zeigt nun in aller Deutlichkeit, auf welchem Irrweg sich die Regierung damit befindet. Wir fordern alle demokratischen Parteien auf, sich in diesem Wahlkampf zu zusätzlichen Klimaschutzmaßnahmen zu bekennen. Vor allem in den Sektoren Verkehr und Gebäude braucht es jetzt klare Bekenntnisse für eine sozialverträgliche Dekarbonisierung.“
Als wichtigste Sofortmaßnahmen für den Klimaschutz im Verkehr nennt die DUH „schnellstmöglich ein bundesweites Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen, 80 km/h außerorts und Tempo 30 in der Stadt. Klimaschädliche Subventionen wie das Dienstwagenprivileg müssen abgeschafft und ein Bonus-Malus-System etabliert werden, das durch höhere Steuerbeiträge im Jahr der Erstzulassung den Kauf von Verbrennerfahrzeugen unattraktiv macht. Wir brauchen jetzt entschlossene Maßnahmen für eine echte Mobilitätswende.“
Quelle: Expertenrat für Klimafragen – Pressemitteilung vom 05.02.2025 / BUND – Pressemitteilung vom 05.02.2025 / DUH – Pressemitteilung vom 05.02.2025
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