„Make Love, Not War!“ – oder: Auf der Suche nach Friedensfrechheit
Die Friedensbewegung ist in ihrer jetzigen Erscheinungsform – vergreist und im Ritualismus erstarrt – nicht zukunftsfähig. Täubchen und über vier Jahrzehnte alte Parolen sind kaum geeignet, jüngere Menschen hinterm Ofen hervorzulocken. Benötigt werden wieder Geist, Charme, Witz, Esprit – kurz: Friedensfrechheit! Von Leo Ensel. Es war auf der letzten bundesweiten FriedensdemonstrationWeiterlesen
Die Friedensbewegung ist in ihrer jetzigen Erscheinungsform – vergreist und im Ritualismus erstarrt – nicht zukunftsfähig. Täubchen und über vier Jahrzehnte alte Parolen sind kaum geeignet, jüngere Menschen hinterm Ofen hervorzulocken. Benötigt werden wieder Geist, Charme, Witz, Esprit – kurz: Friedensfrechheit! Von Leo Ensel.
Es war auf der letzten bundesweiten Friedensdemonstration am 3. Oktober vergangenen Jahres in Berlin. Die Teilnehmer näherten sich der zentralen Abschlusskundgebung an der Siegessäule sternförmig auf unterschiedlichen Routen. Meine startete an der Rathenowerstraße/ Ecke Altmoabit. Die Anzahl der versammelten Menschen war überschaubar: Vielleicht vier- bis fünftausend. Und erdrückend dominiert von der ‚Generation 60 plus‘. Wir latschten im Schritt-Tempo, ich unterhielt mich mit ein paar Bekannten – und dann geschah es.
Friedensritualismus
Zwei, drei Reihen hinter mir feuerte jemand ins Megaphon: „Hoch-die-internatio-naaa-le So-li-da-ri-tät!!“ Etwas zaghaft, dann spärlich lauter werdend, stimmten vielleicht acht oder neun Ältere mit ein. Es klang wie das Pfeifen des Kindes im Walde. Oder war es Nostalgie? Unwillkürlich fragte ich mich: Wer soll hier eigentlich mit wem (und weshalb) international solidarisch sein? Könnten das nicht genauso gut auch die Menschen skandieren, die gerade ein paar Straßen weiter für Waffenlieferungen an die Ukraine demonstrierten?
Ich hing noch meinen Gedanken nach, da ertönte von hinten aus dem Megaphon bereits der zeitlose Klassiker: „Deut-sche Waf-fen deut-sches Geld/ mor-den mit in al-ler Welt!!“ Fraglos wahr. Eine Binse. – So näherten wir uns allmählich der Siegessäule.
Tableau.
Die Abschlusskundgebung startete mit einer Rede von Gesine Lötzsch von der Linkspartei. Es war die übliche Litanei:
„Die Friedensbewegung lebt, und das ist eine gute Nachricht! Im Krieg sterben immer zuerst die Armen. Jeden Tag sterben unschuldige Frauen, Kinder und Greise. Im Krieg gewinnen immer Reiche. Wer am Krieg verdient, hat kein Interesse daran, einen Krieg zu beenden. Ein einziger Leopardpanzer II kostet 27,5 Millionen Euro. Eine Grundschule in meinem Wahlkreis kostet 25 Millionen.“ Conclusio: „Lasst uns weniger Panzer und mehr Schulen bauen! Schicken wir den Aktienkurs von Rheinmetall in den Keller!“ Die friedensbewegte Menge klatschte artig Beifall.
Alles richtig. Und alles tausendmal gehört. Same procedure as every war!
Kontrast
Nichts illustriert die Sackgasse, in der sich die Friedensbewegung (oder was sich noch so nennt) seit Jahren befindet, trefflicher als die Tatsache, dass die beste – und charmanteste – Rede auf dieser Demonstration ausgerechnet von CSU-Mann Peter Gauweiler stammte! Der Mann brachte es als absoluter Außenseiter in diesem Kontext fertig, ohne sich anzubiedern oder grundlegende Differenzen zuzukleistern, dem seiner Partei traditionell feindlich eingestellten Publikum immer wieder ein herzerfrischendes Grinsen zu entlocken. Er brachte einen anderen, dringend benötigten Ton in die Veranstaltung: Etwas mehr augenzwinkernde Leichtigkeit. Ja, sogar Humor!
Friedensfrechheit
Drei friedensbewegte Haltungen sind mir schon vor vier Jahrzehnten gehörig auf den Wecker gegangen: Ein – „Krieg dem Krieg!“ – stramm-militanter Antimilitarismus, ein aufreizend lammfrommer, fast leidensseliger Habitus, der jede Veranstaltung in eine Gandhi-Hungerei oder zumindest in einen heiligen Gottesdienst der Gewaltfreiheit verwandelte und schließlich ein emsiger, oft etwas gedankenarmer Friedensritualismus. (Vor allem der letzte Gestus scheint überlebt zu haben.)
Aber es gab auch anderes. Etwas, das man „Friedensfrechheit“ – das Wort stammt leider nicht von mir! – nennen könnte: Geist, Witz, Charme, Esprit, Lust an (bisweilen leicht zweideutigen) Wortspielen. „Entrüstet Euch!“, „Petting statt Pershing!“, „Entspannt Euch!“ und natürlich der Hippie-Klassiker „Make Love, Not War!“ lauteten einige Slogans auf der ersten großen Friedensdemo im Herbst 1981 im Bonner Hofgarten.
Und sie waren durchaus nicht dumm: Was beim letzten Spruch so flapsig daher kommt, erweist sich bei näherer Sicht als erheblich tiefgründiger, als man auf den ersten Blick erahnen würde. Bei einem berühmten Mann liest sich das so: „Wenn die Bereitwilligkeit zum Krieg ein Ausfluss des Destruktionstriebs ist, so liegt es nahe, gegen sie den Gegenspieler dieses Triebes, den Eros, anzurufen. Alles, was Gefühlsbindungen unter den Menschen herstellt, muss dem Krieg entgegenwirken.“ Das schrieb 1932 kein Geringerer als der Erfinder der Psychoanalyse an den anderen Geistesgiganten, Albert Einstein, in deren bekannt gewordenem Briefwechsel „Warum Krieg?“.
Ist der einstmals so machtvollen Friedensbewegung (oder was davon noch übrig geblieben ist) im Laufe der Jahrzehnte vielleicht der „Eros“ abhandengekommen?
„Die Friedensbewegung ist nicht sexy!“
So brachte es ein guter Bekannter vor einem Dreivierteljahr auf den Punkt, mit dem ich mich über die erschreckende Indolenz weiter Bevölkerungskreise angesichts steigender Kriegsgefahr unterhielt. (Auch wenn ich mir das betreffende Wörtchen lieber für andere Anlässe vorbehalten möchte, glaube ich doch zu verstehen, was er damit meinte.) Und vielleicht ist genau das ja auch ein Grund, warum das Thema „Frieden“ für die jüngeren Generationen so unattraktiv ist. Obwohl von der Sache her alles, aber auch alles für eine enge Zusammenarbeit von Klima- und Friedensbewegung spricht!
Versuchen wir einmal probeweise einen Perspektivwechsel und stellen wir uns vor, wie die Aktionen der Friedensbewegung auf junge Menschen zwischen zwanzig und dreißig wirken mögen. Könnte es sein, dass sie in erster Linie alte Leute sehen, die mit nicht selten sauertöpfischer Mine Transparente aus dem Geschichtsbuch tragen und verstaubte Parolen skandieren? (Als Siebzigjähriger darf ich mir solche Unverschämtheiten herausnehmen!)
Kurz: Wo ist der aufmüpfige, freche, nein: ‚rotzige‘ Sound geblieben?
Die Frage ist, ob wir mit dem üblichen, seit über vier Jahrzehnten eingefahrenen Friedensritualismus („Frie-den schaf-fen oh-ne Waf-fen!“, weiße Tauben auf hellblauem Grund etc.) überhaupt noch eine namhafte Zahl von jüngeren (gar jungen) Menschen hinter dem Ofen hervorlocken, für das Thema „Krieg und Frieden“ sensiblisieren oder sogar zum Engagement verleiten können. Ich habe es kürzlich anderen Orts einmal provokativ formuliert: „Diese Friedensbewegung“ – die Betonung lag auf dem Wort diese – „hat keine Zukunft!“ Let’s face it: Wenn von hinten nichts nachkommt, werden wir in zehn, zwanzig Jahren (auch ohne Krieg) ausgestorben sein!
Und um voll ins Fettnäpfchen zu treten – jetzt, liebe Friedensveteranen und -funktionäre, bitte warm anziehen: Eine kraftvolle Bewegung für den Frieden wäre im Prinzip durchaus auch ohne die altehrwürdigen, aber reichlich eingestaubten Protestformen wie Ostermärsche, Friedenstäubchen, Hannes Wader-Lieder und „In der Rüstung sind sie fix/ für die Bildung tun sie nix!“-Slogans denkbar. (Keine Angst, Ihr könntet ruhig bleiben und weitermachen! Aber als eine Fraktion einer im optimalen Falle viel, viel breiteren, bunteren, modisch gesprochen: diversen Bewegung.)
Konsequenz: Wäre es nicht angebracht, endlich zusammen mit jungen Leuten auf die Suche nach Friedensfrechheit, ja ‚Friedens-Lust‘ zu gehen, im Sinne der Hippies und Sigmund Freuds erneut die subversive Macht des „Eros“ im weitesten Sinne anzurufen und zu überlegen, in welchen Erscheinungsformen er uns heute wieder im dringend nötigen Kampf gegen künftige Leichengebirge und einen im Worst Case kahlen, verstrahlten Planeten unterstützen könnte? (Zur Erinnerung: ‚Making love‘ ist durchaus angenehmer, bisweilen sogar produktiver als ‚making war‘!) Eine Vorlage könnte ich schon mal liefern:
„Make Peace Movement sexy again!“
PS: Das Wort „Friedensfrechheit“ habe ich zum ersten (und letzten) Mal bei Holger Franke gelesen. In seinem 1982 im Vorfeld der NATO-Nachrüstung erschienenen höchst originellen Büchlein „Ohne mich fehlt mir was“ kontrastierte der damals 40jährige Schauspieler des Berliner Kinder- und Jugendtheaters „Rote Grütze“ auf dem Hintergrund virulenter Atomkriegsängste Erinnerungen an seine Nachkriegskindheit, Briefe, Tagebuchnotizen und Prosafragmente mit Gedichten aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, insbesondere den epigrammatischen „Sinnsprüchen“ eines Friedrich von Logau (1605-1655). Lapidare Sätze mit archaischer Wucht:
In Gefahr und großer Not
bringt der Mittelweg den Tod.Ein Krieg ist köstlich gut,
der auf den Frieden dringt.
Ein Fried ist schändlich arg,
der neues Kriegen bringt.Das Eisen zeugt sich selbst den Rost,
von dem es wird verzehret.
Wir Deutschen haben selbst gezeugt die,
die uns jetzt verheeret.Alles machet mein und dein,
dass man nicht kann friedlich sein.
Rückgriff als Angriff. Auf eine immer unheimlicher in Richtung Krieg sich zuspitzende Gegenwart, Anfang der Achtziger Jahre.
Das Buch liest sich heute merkwürdig aktuell und veraltet zugleich: Erschreckend aktuell bezogen auf die noch erheblich ungenierter als damals daherkommende Mobilmachung unserer Gesellschaft in Richtung „Kriegstüchtigkeit“. Erschreckend veraltet, weil – und hier wird man fast neidisch, was das Problembewusstsein und die Handlungsbereitschaft der damaligen Zeit angeht – nicht nur die jungen Klimaschützer, sondern auch die meisten Menschen der Generation, die vor über 40 Jahren noch zu Hunderttausenden gegen Pershing II und Cruise Missiles auf die Straße ging, heute den lieben Gott einen guten Mann sein lassen und der erneuten Stationierung von Marschflugkörpern und Mittelstreckenraketen saturiert entgegenschnarchen!
Mit freundlicher Genehmigung von Globalbridge.
Titelbild: Stiftung Haus der Geschichte
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