Bio-Rabatte bei Lidl und Rossmann: Der große Verrat – oder Auftakt zur neuen Normalität?

Gleich zwei große Handelsketten bieten derzeit 20 Prozent auf Bio-Lebensmittel. Dabei hat der konventionelle LEH die Chance, sein Bio-Basis-Angebot zum neuen Standard zu machen, anstatt es bloß kurzfristig für das gewohnte Rabatttheater zu nutzen. Doch bis es soweit ist, werden auf mehreren Seiten Kompromisse notwendig sein. Der Beitrag Bio-Rabatte bei Lidl und Rossmann: Der große Verrat – oder Auftakt zur neuen Normalität? erschien zuerst auf Supermarktblog.

Jan 22, 2025 - 14:15
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Bio-Rabatte bei Lidl und Rossmann: Der große Verrat – oder Auftakt zur neuen Normalität?

Mehr zu aktuellen Bio-Entwicklungen und Bio im LEH gibt’s bei

Es ist wieder Januar. Und der deutsche Lebensmitteleinzelhandel hat Großes vor mit Bio: Er will es einfach mal verschenken. Naja, fast: „So gut können Vorsätze schmecken“, süßholzraspelt die Drogeriemarktkette Rossmann in ihrer aktuellen Werbung und verspricht: „Täglich im Januar 20% auf alle Bio-Lebensmittel“ – sofern registrierte Kund:innen beim Bezahlen den dafür notwendigen App-Coupon einsetzen. Bei Lidl darf in dieser Woche (Montag, 20.1. bis Samstag, 25.1.) sogar ohne App gespart werden: Der Discounter bietet „Bio zum Mega-Spar-Preis“: „-20% auf alle Bio- & Bioland Obst-und Gemüse-Artikel“.

Klingt erstmal nach klassischer Januar-Depression im Handel: Hauptsache Rabatt, egal auf was.

Doch was auf den ersten Blick nach dem üblichen Preisnachlasstheater aussieht, könnte bestenfalls das Potenzial haben, den gesamten Lebensmittelmarkt umzukrempeln. Denn der Handel steht gerade vor der historischen Chance, Bio zum neuen Standard zu machen. (Vielleicht ja sogar auch nur: aus Versehen.)

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Bio-Revolutionär aus Eigeninteresse

Lidl & Co. als Bio-Revolutionäre – das klingt erstmal absurd. Schließlich steht der Lebensmitteleinzelhandel seit Jahren in Verdacht, mit seiner aggressiven Preispolitik auf lange Sicht die Bio-Standards zu verwässern, die Landwirt:innen, Verbände und Hersteller in den vergangenen Jahrzehnten mühsam erarbeitet haben. Womöglich demonstrieren die aktuellen Aktionen aber auch, dass die Handelsketten erkannt haben, Bio nicht länger als Premiumsegment für Besserverdienende behandeln zu können. Sondern es zum neuen Normal werden zu lassen.

Lidl rabattiert Obst und Gemüse in Bio-Qualität derzeit mit 20 Prozent; Foto: Smb

Gar nicht mal aus Altruismus, sondern aus knallhartem Eigeninteresse. Denn der Handel steht von allen Seiten unter Druck: Kund:innen erwarten mehr Nachhaltigkeit, die Politik verschärft die Auflagen, und der Wettbewerb um umweltbewusste Käufer:innen wird härter. Die Entwicklung zu mehr Nachhaltigkeit ist keine Frage des Ob mehr, sondern nur noch des Wie. Wer als Händler zukunftsfähig bleiben will, muss Bio aus der Nische holen.

Erste Schritte in diese Richtung sind längst gemacht. Die Bio-Sortimente in Discountern, Super- und Drogeriemärkten sind in den vergangenen Jahre stetig gewachsen; die Umsätze (mit zwischenzeitlicher Zurückhaltung) auch.

Dazu hat zum Beispiel Bio-Befürworter Tegut in den vergangenen Monaten vorgemacht, wie die Entwicklung weitergehen könnte: Einzelne Produkte seiner konventionellen Handelsmarke wurden still und leise in die Eigenmarke „Tegut Bio zum kleinen Preis“ überführt – einfach weil sie ohnehin schon in Bio-Qualität produziert wurden. Was bisher unter konventioneller Flagge segelte, wird nun offiziell als Bio vermarktet.

Wieviel Macht darf der Handel haben?

Allerdings steckt der Handel in einem strategischen Dilemma: Er kann und sollte Bio demokratisieren – aber er kann es nicht alleine entwickeln. Dafür braucht er Partner. Und genau hier wird es heikel: Denn mehr Bio im LEH bedeutet auch mehr Macht für den LEH. Schon heute bestimmen die großen Handelsketten weitgehend die Preise und Bedingungen. Wenn sie künftig auch noch den Bio-Markt dominieren, könnten sie die Bio-Bewegung vor sich hertreiben, anstatt gemeinsam mit ihr Standards zu entwickeln.

Trotzdem führt kein Weg an dieser Zusammenarbeit vorbei. Der Handel braucht:

Erstens: die Bio-Bewegung als Innovationsentwickler. Der Handel mag Bio in die Breite bringen können, aber die nächste Generation von Standards und Produkten wird anderswo entwickelt. Das Besser-Bio-Segment wäre dann nicht Konkurrenz, sondern notwendige Ergänzung zum breit verfügbaren Basis-Bio im LEH.

Zweitens: die Lebensmittelindustrie. Der Wechsel kann nur gelingen, wenn die großen Konzerne den Landwirt:innen durch langfristige Verträge und Abnahmegarantien die Sicherheit für die Bio-Umstellung geben. Momentan stockt die Umstellung – auch weil die Erzeuger:innen nicht wissen, ob sich die Investition lohnt.

Und drittens: die Politik. Wenn EU-Bio wirklich zum neuen Standard werden soll, darf das nicht dauerhaft zu signifikant höheren Preisen für Grundnahrungsmittel führen. Die aktuell diskutierte Senkung der Lebensmittel-Mehrwertsteuer von sieben auf fünf Prozent würde da ohnehin kaum helfen – die Einsparungen lägen nur im Cent-Bereich. Konsequenter wäre, die Mehrwertsteuer für Bio-Produkte komplett zu streichen. Das würde die Preisdifferenz zu konventionellen Produkten deutlich reduzieren und ein klares Signal senden: Bio ist kein Luxus, sondern gesellschaftlich erwünschter Standard.

Alles fürs grüne Marketing

Aus dieser Konstellation könnte sich eine neue Rollenverteilung im Markt ergeben. Der LEH würde EU-Bio durch große Mengen und effiziente Prozesse zur neuen Basis machen. Der Preis wäre dabei nicht mehr das Unterscheidungsmerkmal zwischen Bio und konventionell (weil konventionell schrittweise ersetzt würde), sondern zwischen verschiedenen Bio-Qualitäten.

Allerdings müsste sich die Bio-Bewegung, die Bio nach eigenen Maßstäben entwickelt hat, damit anfreunden, dass ihnen dieser Einfluss auf Basis-Bio ein Stück weit aus der Hand genommen würde. Das könnte schwierig sein angesichts der etablierten Verhaltensmuster und Methoden im Handel, von denen sich Bio ja lange bewusst abgegrenzt hat.

Rabatt in Rot: Demokratisiert der Discount Bio mit Rabatten – oder schadet das der Ursprungsidee? Foto: Smb

Wie der Discount vorgeht, zeigt sich beispielhaft bei Lidl: „Rund 600 Bio-Artikel im Sortiment“ bewirbt die Handelskette in ihrer aktuellen Aktion. Das klingt erstmal beeindruckend. Allerdings sind darin – laut Sternchentext – auch zeitlich begrenzte Aktionsartikel eingerechnet, die Zahl der Bio-Artikel im Standardsortiment wurde zuletzt eher zurückgefahren (siehe Supermarktblog).

Ein notwendiger Kompromiss

Möglicherweise ist das weniger problematisch als es scheint. Der Discount macht mit Bio genau das, was er am besten kann: ein fokussiertes Basissortiment plus gezielten Aktionen. Das schafft Aufmerksamkeit und für viele Kund:innen womöglich erste Berührungspunkte mit Bio. Für das komplette Bio-Sortiment und dessen Weiterentwicklung bleiben andere Händler unverzichtbar. Besser-Bio entwickelt sich parallel dazu weiter – mit mehr Regionalität, besonderen Qualitäten. Als Labor für die nächste Generation von Lebensmittelstandards.

Diese Dualität wäre kein Bug, sondern ein Feature: Basis-Bio demokratisiert den Markt, Besser-Bio treibt ihn voran. Das eine geht nicht ohne das andere.

„‚Big is beautiful‘ heißt wieder die kapitalistische Marktdevise. Wachsen oder weichen wird nun auch auf den Biosektor übertragen. Dabei war die Abkehr von dieser Agrarformel eines der Grundpfeiler der Pioniere der Biobranche“, kritisierte die „Unabhängige Bauernstimme“ bereits 2023 die derzeitige Entwicklung. Aber vielleicht ist das der notwendige Kompromiss, den es braucht: EU-Bio zur Massenware werden zu lassen, das im Basissegment nicht mehr „besonders“ sein muss, sondern normal.

Bio verkaufen und Bio leben

Das klingt erstmal bedrohlich. Aber es ist genau das, wofür Bio eigentlich mal angetreten ist: Eine Form der Landwirtschaft zu etablieren, die Umwelt und Natur schützt und weniger belastete Lebensmittel produziert. Würde EU-Bio tatsächlich konventionelle Produkte ersetzen, wäre das ein riesiger Erfolg – auch wenn der Weg dahin über Rabattaktionen führt.

Besser-Bio wäre der nächste Schritt, mit Bio-Verbänden und Fachhandel als Premium-Alternative. Und als Ort, an dem Bio nicht nur verkauft, sondern auch weiterhin sprichwörtlich gelebt wird.

Bis sich die Branche auf diese Dualität verständigen könnte, müssten allerdings noch einige dicke Bretter gebohrt werden. Denn der Bio-Umbau wird wahrscheinlich nur gelingen, wenn drei zentrale Fragen geklärt werden:

  • Wie können mehr Landwirt:innen zur Umstellung motiviert werden? Momentan sinken die Einkommen vieler Bio-Erzeuger:innen, Neuumstellungen stocken, beobachtet die „Bauernstimme“. Ohne bessere Perspektiven für die Erzeuger:innen wird es keine Bio-Entwicklung geben.
  • Wie entwickeln sich die Preise? Skaleneffekte durch größere Mengen könnten die Kosten senken – aber reicht das? Oder braucht es weitere Maßnahmen wie eine Mehrwertsteuer-Befreiung?
  • Wie kann verhindert werden, dass der Preisdruck die Standards verwässert? Die Bio-Entwicklung soll schließlich nicht zur Bio-Light-Revolution werden.

Demokratisieren, nicht banalisieren

Sind alle Seiten bereit für diesen Wandel? Sollte die Bio-Bewegung in ihrer Nische bleiben und die Transformation blockieren, wird der Handel Bio nach seinen eigenen Regeln umbauen. Die Folge wären verwässerte Standards und ein Bio-Begriff, der nur noch Marketing ist – das kann niemand wollen.

Umgekehrt gilt aber auch: Wenn der Handel Bio nur als kurzfristiges Rabatt-Vehikel missbraucht, beraubt er sich selbst der Möglichkeit, sein Geschäftsmodell zukunftsfähig zu machen.

Die Handelsketten stehen vor einer weitreichenden Entscheidung. Es braucht eine gemeinsame Aktion von Handel, Bio-Bewegung, Industrie und Politik, um Bio zum neuen Standard zu machen. Und selbst wenn das manchen nicht gefällt: Der LEH hat dabei eine Schlüsselrolle. Er kann der Entwicklung die nötige Größe geben. Aber er muss auch akzeptieren, dass er sie nicht alleine stemmen kann.

Die Kunst wird sein, Bio zu demokratisieren, ohne es zu banalisieren. Gelingt das nicht, bleiben die Aktionen nur ein weiteres Kapitel im ewigen Preiskampf. Vielleicht ist es am Ende ganz einfach: Der Handel muss Bio nur genauso ernst nehmen wie seine Januar-Rabatte. Dann könnte aus der kurzen Rabattschlacht tatsächlich eine dauerhafte Revolution werden.

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