Was wir brauchen: eine Denkpause

Die amerikanische Bestsellerautorin Rachel Botsman hat eine Idee, die wir aufgreifen und erweitern sollten: eine Denkpause. Der Beitrag Was wir brauchen: eine Denkpause erschien zuerst auf Indiskretion Ehrensache.

Jan 29, 2025 - 21:02
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Was wir brauchen: eine Denkpause

Heute Morgen führte ich eine (zumindest für mich) erkenntnisreiche Diskussion auf Twitter. Es ging um den kritischen Brief von Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche in Richtung der CDU und beteiligt war eine Person, die Parteien des konservativen Spektrums seit Jahrzehnten in Sachen Kommunikation berät, weshalb ihn mal ein Medium als „Parteien-Flüsterer“ bezeichnete (ob er heute noch in diesem Feld tätig ist, weiß ich nicht).

Dieser Einflüsterer erklärte öffentlich, in den vergangenen Jahren einen sechsstelligen Betrag an Kirchensteuer gezahlt zu haben (was bedeutet, sein Jahreseinkommen liegt im mittleren sechsstelligen Bereich oder höher). Damit aber sei es nun vorbei und ich interpretierte dies durch den zeitlichen Zusammenhang so, dass er jenen Brief so ablehnt, dass er sogar aus der Kirche austreten will.

Nun sehe ich mich als relativ neutral. Ich bin zwar katholisch aufgewachsen, nicht aber in einem sonderlich glaubensgetriebenen Haushalt, es gehörte sich im Münsterland der 70er halt so. Mit dem ersten Gehaltsausweis bin ich ausgetreten, heute bin ich Atheist und meine Religion heißt Preußen Münster.

Gleichzeitig hänge ich keiner Partei an. Ich bin Wechselwähler, bis in die 10er Jahre hinein dürfte aber die CDU die Partei gewesen sein, die ich am häufigsten gewählt habe. Vor einigen Jahren habe ich mal gesagt, dass ich gar nicht wählen würde, gäbe es nicht die Gefahr für unsere Demokratie durch die AFD. Sprich: Ich gehöre zu den typischen Vertretern der Ich-wähle-das-kleinste-Übel-Fraktion.

Durch den aktuellen Wahlkampf fühle ich mich intellektuell beleidigt. Hier wird mal was eingeworfen und dort, vieles kann man auch mit mittelmäßigem Fachwissen flott widerlegen. Und jene, die in Parteien aktiv sind, hängen derart in ihren Lagern fest, dass ein ernsthaftes Gespräch nicht möglich ist.

Unter dieser Lagerbildung leidet dann die gesellschaftliche Atmosphäre in Deutschland. Gerade lese ich nochmal „Der Zauberberg“ und Thomas Mann hat die aktuelle Stimmung tatsächlich vorweggenommen (was ja auch bedeutet, dass sie jener der Zeit vor dem ersten Weltkrieg gleicht).

Ich schrieb jenem Einflüsterer also, wo er denn die harschen Migrationsvorschläge von Friedrich Merz gedeckt sieht mit den Werten der Bibel. Er antwortete mit dem Screenshot der „Bild“, in der Migranten vor Migration warnen, und einem Zitat von Johannes Paul I., der eine Regelung von Migration befürwortete. Ich äußerte meine simple Bitte nochmals, da – und wurde daraufhin geblockt.

Wenn ich diskutiere, versuche ich das mit Argumenten. Und wenn mir jemand Argumente liefert, die meinen signifikant entgegenstehen, dann ist das für mich so, als wäre ich gegen eine Wand gelaufen: Mir wird ein wenig schwindelig und ich verharre, während mein Kopf Karussel fährt. Die Frage, die da rotiert lautet: Muss ich meine Meinung ändern?

„Ja“ ist dabei immer eine mögliche Antwort. Und es sind diese Diskussionen, wegen denen ich überhaupt Diskussionen führe.

Doch davon gibt es zu wenige, die in diesen Tagen ergebnisoffen debattieren. Schnell wird es aggressiv, irgendwann wird geblockt. So aber kommen wir nicht weiter und treiben Polarisierung immer nur voran.

In „Revisionist History“, dem Podcast von Star-Autor Malcolm Gladwell, begegnete mir eine Idee, die ich gern für die aktuelle Situation umformen möchte.

Gesprächsgast war Rachel Botsman, Autorin und Forscherin im Bereich Vertrauen.

Sie schlägt eine Trust Pause vor, immer dann, wenn wir etwas oder jemand vertrauen müssen oder sollen. Dann sollten wir innehalten und uns hinterfragen. Zum Beispiel, ob wir einer Information nur deshalb vertrauen, weil sie unsere Meinung bestätig. Oder ob wir einem Dienstleister, den wir beauftraugen, vertrauen, weil er die bequemste Lösung ist.

Was für eine kluge Idee.

Ich finde, wir sollten sie noch erweitern in Richtung einer Denkpause. Denn dieses Vertrauen schenken bildet ja eher positive Zusammenhänge ab. Andersherum aber könnte man sich auch prüfen, ob man eine andere Meinung nur deshalb verachtenswert findet, weil sie jemand von einer Partei, Institution oder Denkrichtung geäußert hat, die man selbst nicht mag. Dieses Phänomen ist als „Negative Partisanship“ bekannt: Man steht auf einer Seite einer Debatte nicht, weil man die vertretene Meinung gut findet – sondern weil man die Gegenseite irrational ablehnt. Ich ahne: Das könnte bei einer Menge AFD-Wähler der Fall sein.

Verordnen wir uns also alle doch mal eine Denkpause. Keine, die Stunden dauert, es reichen ja 30 Sekunden, in denen man sich selbst in Frage stellt. Man muss das Ergebnis der Überlegung ja auch gar nicht öffentlich machen. Ich bin mir aber sicher, dass viele der Hass- und Hetzkommentare weniger hassend und weniger hetzend ausfallen würden. Vielleicht geschieht gar das unmöglich Scheinende: Es ändert jemand ganz rational seine Meinung.

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