Pyrotechnik im Fußball: Nordost-Klubs und -Fanszenen fordern Ende der Sanktionen

Pyrotechnik ist doch kein Verbrechen! Meinen auch diverse Vereine und Fanszenen aus dem Nordosten. Gemeinsam fordern sie den Verband nun so klar wie nie zuvor auf, das Sanktionsverhalten anzupassen. Es ist der nächste Diskussionspunkt eines lang währenden Konflikts.

Jan 31, 2025 - 21:36
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Pyrotechnik im Fußball: Nordost-Klubs und -Fanszenen fordern Ende der Sanktionen

Es ist ein so nie dagewesener Vorstoß in Sachen Pyrotechnik: Am Freitag veröffentlichten diverse Fanszenen aus dem Nordostdeutschen Raum ein Positionspapier, in dem sie vom Nordostdeutschen Fußballverband (NOFV) die Abschaffung von Verbandsstrafen für den Einsatz nicht missbräuchlich verwendeter Pyrotechnik fordern. Das Besondere: Die Fanszenen des FC Carl-Zeiss Jena, des SV Babelsberg 03 oder sogar von Hertha BSC tun das nicht allein – sondern in enger Absprache und Hand in Hand mit ihren Vereinen.

17 Unterzeichner finden sich unter dem Schreiben, so zum Beispiel auch der Hallesche FC, gemeinsam mit den Saalefront Ultras und dem HFC-Fankurvenrat. Der FC Energie Cottbus gemeinsam mit der Gruppe Ultima Raka und den Ultras Energie. Der FC Rot-Weiss Erfurt gemeinsam mit der Steigerwaldkurve. Bereits der Umstand, dass selbst Vereine und Fanszenen die Forderung mittragen, die derzeit nicht unter dem Dach des NOFV, also etwa in der Regionalliga Nordost, spielen, macht deutlich: Hier meint es jemand ernst. Doch der Vorstoß ist das Ergebnis eines schon länger währenden Prozesses. Und er markiert den nächsten Diskussionspunkt in der eh schon angespannten Beziehung zwischen den Vereinen, Fanszenen und dem NOFV.

Stichwort „nicht missbräuchlich“

Doch was genau fordern die Vereine und ihre Fans? Die Kernformulierung in dem Positionspapier lautet: „nicht missbräuchlich“. Den Vereinen und Fanszenen geht es also explizit um die Nicht-Bestrafung von Pyrotechnik, die keinerlei Einfluss auf das Spielgeschehen nimmt. Fackeln, die nicht für einen verspäteten Anstoß oder eine Unterbrechung der Partie sorgen. So definieren die Unterzeichner in dem Schreiben den „missbräuchlichen“ Einsatz wiederum selbst als „gezielten Einsatz gegen Personen oder Wurf auf das Spielfeld“.

In sechs aufgeführten Punkten kritisieren die Unterzeichner u.a., die Bestrafungen brächten „zusehends wirtschaftliche Probleme für die betroffenen Vereine“ mit sich, die Sanktionspraxis wiederum führe dazu, dass durch „aufkommende Interessenskonflikte ein Keil durch die Vereine getrieben“ würde und, dass die Verbände „ein zunehmendes Sicherheitsempfinden beim Einsatz von Pyrotechnik und ausbleibende Verletztenzahlen“ ignorieren würden. Kurzum: Pyrotechnik, die für atmosphärische Untermalung so kontrolliert und gefahrenlos wie möglich verwendet wird, soll die Vereine nichts mehr kosten, da eben kein Schaden für niemanden entstünde. Außer, im Falle der Bestrafung, für die Klubs. So schreibt Hertha BSC in seinem Statement: „Darüber hinaus sind wir der Überzeugung, dass der gegenwärtige Umgang mit Pyrotechnik seitens der Verbände zu keiner Besserung der Situation führt. Wir treten daher dafür ein, eine offene, bundesweite Debatte darüber zu führen, wie wir hier zu einer für alle Seiten vernünftigen Lösung kommen können.“

Der NOFV zeigte sich in einem ersten Statement offen für mögliche Anpassungen der Sanktionierungen. „Wir als NOFV verstehen uns als Vertreter unserer Mitgliedsverbände und aller Vereine, die unter unserem Dach ihren Spielbetrieb mit großem, vor allem in weiten Teilen auch ehrenamtlichen Engagement betreiben. Dementsprechend nehmen wir deren Sorgen und Nöte ernst und werden uns bei dieser Thematik bemühen, alle relevanten Aspekte umfassend zu ermitteln, gegeneinander zu gewichtigen und in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Die verbindenden Elemente des Fußballs dürfen – gerade in diesen für unser Land durchaus schwierigen Zeiten – nicht durch die Gefährdung des wirtschaftlichen Fortbestandes der Vereine aufs Spiel gesetzt werden“, wird Präsident Hermann Winkler zitiert.

Los ging's in Jena

Es ist ein Vorschlag mit Signalwirkung, der seinen Ursprung im November 2023 beim FC Carl Zeiss Jena fand. Auf der dortigen Mitgliederversammlung wurde ein Antrag der Ultra-Gruppe „Horda Azzuro 2001“ mit einer deutlichen Mehrheit angenommen. In dem Antrag forderten die Ultras ihren Verein zur „proaktiven Auseinandersetzung und veränderungsorientierten Kritik des FC Carl Zeiss Jena an der Strafenpolitik der Fußballverbände“ auf. Ein Anstoß, der an weiteren Standorten des NOFV-Gebiets Anklang fand – sowohl fan- als auch vereinsseitig. Im Juni 2024 ging auf der Mitgliederversammlung des SV Babelsberg ein inhaltlich ähnlicher Antrag mit dem Titel „Pyrostrafen zünden nicht“ durch. In Chemnitz rief der ortsansässige CFC etwa den „Chemnitzer Weg“ ins Leben, ein Pilotprojekt, dass sich am norwegischen Modell orientiert, in dem in Stadien Freiräume für kontrolliertes und sicheres Abbrennen geschaffen werden.

Dass unachtsam verwendete Pyrotechnik zu Verletzungen führen kann, ist unstrittig. Und doch zeigen die Zahlen, dass es in deutschen Stadien kaum zu Verletzungen durch Pryotechnik kommt. Die Zentrale Informationsstellte Sporteinsätze (ZIS) führte in ihrem Bericht zur Saison 2022/23 insgesamt 82 Verletzte durch Pyrotechnik auf. Zum Vergleich: Allein durch polizeilich angewandten Reizstoff gab es 89 Verletzte mehr. In der Saison 2023/24 kamen laut ZIS in der Regionalliga-Nordost exakt null Unbeteiligte durch Pyrotechnik zu schaden. Acht Polizisten seien dagegen durch das Abbrennen verletzt worden – durch polizeiliches Reizgas waren es 43. Pyrotechnik, das wird in den Berichten deutlich, ist per se keine Gefahr im Stadion.

Vor allem aber ist die Forderung eine weitere Zuspitzung eines Konflikts, der im NOFV-Gebiet zwischen Vereinen und Fanszenen auf der einen und dem Verband auf der anderen Seite schon länger schwillt. Erst Anfang Dezember veröffentlichten 13 Klubs ein Positionspapier, in dem sie den Verband für die „aktuelle Handhabung der Spielansetzungen und die starke Einflussnahme des Medienvertreters“ kritisieren. Fanunfreundliche Anstoßzeiten, ein Spielplan, der sich zu sehr nach den Interessen vom übertragenden Sender Ostsport.TV oder dem MDR orientieren würde, zu wenig Mitspracherecht bei der Gestaltung des Spielplans – so die Kernkritik, die die Fanszenen der Vereine in einem eigenen Statement mittragen.

Vermarktet die Liga ihre Klubs nicht ausreichend?

Hinzu kommt, dass die Vereine dem Verband Intransparenz in Sachen TV-Vertrag vorwerfen. Für wie viel Geld der NOFV die Übertragungsrechte der Spiele der Regionalliga-Nordost verkauft hat, würden die Klubs schlichtweg nicht wissen. Von denen viele aber, so ist zu hören, sehr wohl bezweifeln würden, ob der Verband seine Liga gemessen an der Reichweite und dem Interesse, für das die vielen Traditionsklubs sorgen, ausreichend vermarktet. Eine öffentliche Reaktion des NOFV dazu ist bislang ausgeblieben.

Doch das das Positionspapier der Vereine und Fanszenen macht deutlich, dass der Zusammenhalt von Vereinen und Fanszenen im Nordosten zurzeit wohl so stark ist wie sonst nirgends in Deutschland. Und dass mittlerweile auch die ersten Vereine erkannt haben wollen, dass eine differenzierte Betrachtung von Pyrotechnik von Nöten ist. Der NOFV wird sich nun an seinen Worten zur Thematik messen lassen müssen. Denn verschwinden werden die Bengalos und Fackeln, auch das geht aus dem neuerlichen Statement hervor, auch in Zukunft nicht.