Europa-Staatsministerin Anna Lührmann: "Wir müssen mit Menschen sprechen, die anders denken als wir"
Am 23. Februar 2025 ist Bundestagswahl. Europa-Staatsministerin und Grünen-Abgeordnete Anna Lührmann hat eine Mission: Frauen zeigen, dass sie in der Politik eine Stimme haben und diese erheben können.
Am 23. Februar 2025 ist Bundestagswahl. Europa-Staatsministerin und Grünen-Abgeordnete Anna Lührmann hat eine Mission: Frauen zeigen, dass sie in der Politik eine Stimme haben und diese erheben können.
Mit 19 Jahren war Anna Lührmann die jüngste Abgeordnete im Bundestag, 2021 kehrt die Grünen-Politikerin ins Parlament zurück – als Bundestagsabgeordnete, Staatsministerin für Europa und Klima und als Mutter. Im BRIGITTE-Interview spricht sie unter anderem darüber, wie sich diese beiden Rollen, Elternteil und Abgeordnete, vereinbaren lassen, was sich seit ihrer letzten Kandidatur für Frauen in der Politik verändert hat und natürlich auch, was wir alle tun können, damit Rechte diese Errungenschaften, die so mühsam auf den Weg gebracht wurden, nicht zunichte machen. Denn am 23. Februar 2025 ist Bundestagswahl – und da müsse man an einem Strang ziehen, so Lührmann.
BRIGITTE: Frau Lührmann, Sie sind Europa-Staatsministerin. Was macht man da so?
Anna Lührmann: Ich bin die Stellvertreterin von Annalena Baerbock, vor allen Dingen in den Themenbereichen Europa und Klima. Das heißt, ich nehme Termine wahr, die sie in ihrem Kalender nicht unterbringen kann, mache auch den Kontakt zu Abgeordneten, zu Parlamentarierinnen und Parlamentariern und eben zu anderen europäischen Ländern und vertrete Deutschland im Rat in Brüssel. Da treffen sich die Regierungen regelmäßig.
Am 23. Februar gibt es Neuwahlen und die Umfragewerte zeigen, dass viele Menschen augenscheinlich den Glauben in die EU verloren haben. Finden Sie das berechtigt?
Ich würde sagen, es gibt in Deutschland weiterhin ein Grundvertrauen in die Europäische Union, aber mit Luft nach oben. Hierzulande wissen viele, dass wir einfach mehr erreichen können, wenn wir gemeinsam auftreten. Wir sehen es jetzt gerade mit der neuen Regierung in den USA. Da bringt es nicht so viel, wenn Deutschland, Frankreich, Spanien einzelne Positionen beziehen. Nur gemeinsam sind wir stark. Aber es stimmt: Das, was in Brüssel passiert, ist einfach sehr weit weg. Deswegen sehe ich es auch als meine Aufgabe, immer wieder darüber zu reden, wie Entscheidungen in Brüssel getroffen werden und warum vieles in unserem Land sehr viel schlechter wäre, wenn wir die EU nicht hätten.
Sie waren mit 19 das jüngste Mitglied im Bundestag. Wie war das damals für Sie?
Wahnsinn. Natürlich. Ich bin wenige Monate nach der Abiturprüfung in den Bundestag eingezogen. Ich kann mich noch gut an die Zugfahrt erinnern. Nach Berlin. Die ganze Aufregung. Ich glaube, ich habe allein in den ersten zwei Wochen um die 60 Interviews gegeben.
Was war ihre Mission?
Ich wollte junge Frauen inspirieren. Ich wollte ihnen zeigen, dass wir unsere Stimmen in der Politik erheben und Gehör finden können. Das war für mich ein unheimlicher Antrieb, auch durch vielleicht schwierigere Sitzungen oder größere Herausforderungen durchzukommen.
Ist Ihnen das gelungen?
Wir haben viel erreicht. Im Bundestag sind heute deutlich mehr junge Frauen als damals. Ich war eine der ersten, die Mutter geworden ist, während sie Abgeordnete war. Aktuell haben wir drei oder vier Babys bei uns in der Fraktion. Ich glaube auf der einen Seite ist es selbstverständlicher geworden, dass Frauen Führungsverantwortung in der Politik übernehmen, auch junge Frauen und Mütter. Auf der anderen Seite hat es aber in den letzten Jahren auch einen Angriff auf diese Errungenschaften gegeben – vor allem durch die AfD.
Sie sind früh Mutter geworden. Wie sieht es denn mit der Vereinbarkeit der Rollen aus, Elternteil und Abgeordnete zu sein?
Mal ehrlich, das ist schon schwierig. Zu der Zeit, als ich Mutter geworden bin, war Ursula von der Leyen Familienministerin und die öffentliche Debatte lautete ungefähr, man kriege das schon hin, Familie und Beruf zu vereinen, wenn man nur wolle. Ich erinnere mich noch gut daran. Denn trotz der Unterstützung, die ich hatte, auch durch meine Mutter, war es hart. Es bereitet einen niemand darauf vor, wie es ist, nachts nach einer Sitzung noch Milch abzupumpen, damit das Baby am nächsten Tag versorgt ist und ich glaube da haben wir heute einen realistischeren Umgang mit gefunden.
Aber da ist noch Luft nach oben, würde ich sagen …
Ja, absolut! Wir müssen mehr für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tun. Ich hatte gerade ein Treffen mit jungen Müttern und Vätern bei mir in Hofheim, wo ich herkomme. Die haben ein Riesenproblem, einen Kindergartenplatz zu finden. Nachdem wir das vor mehr als 20 Jahren zu einer politischen Priorität erklärt haben. Das zeigt auch, wie lange es manchmal dauert, bis sich Sachen verändern. Deswegen lohnt es sich aber nicht weniger, dafür zu kämpfen.
Haben Sie denn je, also damals oder auch heute, das Gefühl gehabt, dass Sie sich als junge Frau oder Mutter mehr oder anders behaupten mussten?
Als ich mittendrin gesteckt habe, habe ich das nicht so gemerkt. Im Rückblick auf diese Phase fällt es mir stärker auf, dass es da Diskriminierung gab, die ich in dem Moment aber gar nicht wahrgenommen habe. Wenn man jedes Mal, wenn man in den Raum hereinkommt, erst einmal klarmachen muss, ich bin nicht die Praktikantin, sondern Mitglied im Haushaltsausschuss und ich habe ein Recht, hier zu sein, das kostet natürlich Kraft. Wie viel, ist mir erst im Nachhinein deutlich geworden. Ich glaube, ich habe auch versucht zu kompensieren, mit besonders formeller Kleidung, besonders staatstragender Sprache, da bin ich heute viel freier.
Sprüche wie 'Wer hat Ihnen das schon wieder aufgeschrieben?' Sowas bekommt kein älterer Mann zu hören
Auf der anderen Seite hatte ich einen wahnsinnig tollen Support durch die vielen Frauen in der grünen Fraktion. Wir haben eine Quote von mehr als 50 Prozent und das hat mir einen starken Rückhalt gegeben. Wir hatten auch regelmäßige Runden, wo wir uns getroffen und ausgetauscht haben. Da gab es viele Frauen, die mir als junger Mutter Tipps gegeben und mir Mut gemacht haben.
Würden Sie behaupten, dass sich etwas im Außen verändert hat, oder handelt es sich eher um Veränderungen, die Sie selbst betreffen?
Ich bin älter geworden. Da habe ich schon auch einiges gelernt. Aber es hat sich, glaube ich, auch in der Gesellschaft etwas verändert. Als ich damals bei den Grünen war, war die Führungsspitze älter und männlicher. Als ich zurückgekommen bin, stand Annalena Baerbock an der Spitze. Die ist ungefähr mein Alter, auch Mutter. Das ist empowering. Es herrscht einfach eine ganz andere Selbstverständlichkeit für andere junge Frauen da zu sein und diese Führungsverantwortung zu übernehmen. Aber es gibt eben auch die Gegenbewegung. Im Bundestag sehen wir es durch die AfD. Der Frauenanteil ist deswegen auch zurückgegangen, weil in der AfD Fraktion fast nur Männer sind.
Macht sich die AfD während der Sitzungen im Parlament bemerkbar?
Ich sitze ja immer vorne auf der Regierungsbank, direkt vor mir sitzt die AfD Fraktion und allein am Geräuschpegel aus diesen Reihen kann ich ausmachen, ob gerade eine junge Frau am Podium steht. Dann wird die AfD besonders laut und blökt unflätig dazwischen. Darauf kommen sie nicht klar, dass Frauen da vorne stehen. Bei all den positiven Entwicklungen gibt es eben diese Strömungen, die versuchen, alles wieder zurückzudrehen und das müssen wir stoppen.
Viele Menschen fühlen sich hilflos angesichts der weltpolitischen Lage. Wie können wir aktiv werden?
Im Kleinen anfangen: Als ich angefangen habe, mich politisch zu engagieren, war meine erste Handlung, einen Bach in meiner Nachbarschaft sauber zu machen. Im Umweltnaturbereich gibt es so viele Möglichkeiten aktiv zu werden. Im Demokratiebereich sind falsche Nachrichten und manipulative Techniken gerade ein großes Thema. Was wir alle tun können, ist Nachrichten – gerade in den sozialen Medien – mehr zu hinterfragen. Von wem kommt das? Will ich das wirklich teilen? Und wenn ich das teile, ist das etwas, was die richtige Botschaft verbreitet? Zudem finde ich es wichtig, die eigene Filterblase mal zu verlassen und mit Menschen zu sprechen, die vielleicht ein bisschen anders denken – beim Bäcker, im Sportverein, im Café, auf der Arbeit. Wenn jeder nur mit fünf Leuten redet, die sich zum Beispiel vorstellen könnten, die AfD zu wählen, und die durch das Gespräch Zweifel bekommen, dann wäre schon viel gewonnen. Das ist auch Politik!
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