Wahlkampf 2025: Krankenversicherungsbeiträge, Wirtschaftskompetenz und der „Griff in die Taschen der Menschen“ [Gesundheits-Check]

Die gesundheitspolitischen Programme der Parteien zur Wahl am 23. Februar sind allesamt keine Kassenschlager. Gesundheitspolitik ist im Wahlkampf immer ein Nischenthema. Nachdem es aber zunächst so aussah, als ob die Gesundheitspolitik neben Migration und Wirtschaftskrise im Wahlkampf gar keine Rolle spielen würde, hat der Vorschlag der Grünen, auch Kapitalerträge zur Finanzierung der Krankenversicherung heranzuziehen, nun…

Jan 20, 2025 - 13:15
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Wahlkampf 2025: Krankenversicherungsbeiträge, Wirtschaftskompetenz und der „Griff in die Taschen der Menschen“ [Gesundheits-Check]

Die gesundheitspolitischen Programme der Parteien zur Wahl am 23. Februar sind allesamt keine Kassenschlager. Gesundheitspolitik ist im Wahlkampf immer ein Nischenthema. Nachdem es aber zunächst so aussah, als ob die Gesundheitspolitik neben Migration und Wirtschaftskrise im Wahlkampf gar keine Rolle spielen würde, hat der Vorschlag der Grünen, auch Kapitalerträge zur Finanzierung der Krankenversicherung heranzuziehen, nun doch für viel Aufregung gesorgt.

Im Wahlprogramm der Grünen heißt es dazu ganz unscheinbar:

„Die Beitragsbemessung werden wir reformieren und beispielsweise auch Kapitaleinnahmen zur Finanzierung unseres Gesundheits- und Pflegesystems heranziehen. Damit schützen wir auch Löhne und Gehälter vor höheren Beitragsabgaben.“

So weit so gut und so stand der Satz seit Mitte Dezember unbeachtet im Wahlprogramm. Bis Robert Habeck den Vorschlag vier Wochen später im „Bericht aus Berlin“ im ZDF offensiv in die Öffentlichkeit trug. Danach ging es Schlag auf Schlag. Habeck habe keine Ahnung von Wirtschaft und verstehe volkswirtschaftliche Zusammenhänge nicht, so zum Beispiel der Liquiditätsfallenversteher Friedrich Merz, und von einem „Griff in die Taschen der Menschen“ sprachen Spitzenleute der Union wie der FDP. FDP-Buschmann klagt im Bildzeitungs-Sprech den „großen Habeck-Klau“ an. Die SPD assistiert. Matthias Miersch sieht Parallelen zum Heizungsgesetz, es sei ein „völlig unausgegorener Vorschlag“. Immerhin darin sind sich Union, FDP und SPD schon mal einig: Man mag die Grünen nicht.

In allen Wahlprogrammen lassen sich „völlig unausgegorene Vorschläge“ finden. Wahlprogramme sind keine Gesetzentwürfe. Und selbst die sind oft reichlich unausgegoren. Die Debatte um die Heranziehung von Kapitalerträgen für die Krankenversicherung hat sich allerdings zu einer Sondervorführung dümmlicher Demagogie entwickelt.

Natürlich ist so gut wie jeder Vorschlag, das Beitragsaufkommen der Krankenversicherung zu verbessern, „ein Griff in die Taschen der Menschen“. Das wäre übrigens nicht anders, wenn man Leistungen kürzen würde. Die relevante Frage ist, ob man in die Taschen der richtigen Menschen greift, in dem Fall, in die Taschen derer, die viel Geld haben. So haben es die Grünen wohl gemeint, aber nicht damit gerechnet, dass die politische Konkurrenz nur darauf gelauert hat, ihnen soziale Kälte und wirtschaftliche Inkompetenz gleichermaßen vorwerfen zu können. In der Flutwelle der konkurrenziellen Empörung gingen alle Erklärungsversuche unter.

Gestern hat es Frau Baerbock in der Sendung Caren Miosga noch einmal unternommen, die Kuh vom Eis zu kriegen. Normale Leute, so Baerbock, seien gar nicht betroffen, für GKV-Versicherte sei ja schon alles geregelt. Es gehe darum, zunächst die private und gesetzliche Krankenversicherung zusammenzuführen und dann von den reichen, bisher privat versicherten Personen, die keine Arbeitseinkommen haben, einkommensbasiert Beiträge zu erheben. Caren Miosga hat mehrfach wiederholt, sie verstehe es nicht und fast schon etwas gehässig darauf beharrt, Baerbock könne es nicht gut erklären. Sie schien, nachdem sie vor einiger Zeit Christian Lindner etwas schärfer interviewt hatte, in der Parteienbalance etwas wiedergutmachen zu wollen. Vermutlich hat sie es auch wirklich nicht verstanden, Miosga bewegt sich in ihrem Alltag nicht in den Niederungen des Krankenversicherungssystems. Sonst hätte sie, statt auf ihrem Unverständnis zu beharren, nachfragen können, wie ernst die Idee wirklich gemeint ist, vor allem mit Blick auf die nächste Legislaturperiode. Denn schon die Zusammenführung von GKV und PKV dürfte unter einer Regierung Merz keine Chance haben, der darauf folgende Schritt mit den Kapitalerträgen ist somit erst recht nicht mehr zu erwarten.

An dem Thema sind Miosga und Baerbock gleichermaßen gescheitert. Natürlich kann man in ein Wahlprogramm auch etwas schreiben, was parteipolitisch gewollt und realpolitisch unmöglich ist, aber dazu sollte man sich dann auch in der öffentlichen Diskussion transparent verhalten. Sofern man weiß, wovon man spricht.

So gibt es jetzt viel Aufregung um praktisch nichts, mit viel Wirtschaftskompetenz auf dem Niveau von Friedrich Merz. Buschmann erläutert seinen „großen Habeck-Klau“ damit, Habecks Vorschlag könne auch für kleine Sparraten sechsstellige Minderungen ihrer Erträge bedeuten“. Das muss die Quadratur des Kreises sein, kleine Sparraten mit sechsstelliger Ertragsminderung. Und Markus Söder, neuerdings immer gerne dabei, wenn es gegen die Grünen geht, meint: „Auf schon einmal versteuertes Geld dürfen keine zusätzlichen Beiträge und Steuern erhoben werden“. Demnach dürfte es viele Steuern gar nicht geben, auch die Mehrwertsteuer oder die Mineralölsteuer an der Tankstelle beispielsweise werden auf schon versteuertes Geld erhoben. Und es geht im Vorschlag der Grünen um die Kapitalerträge, nicht um die Substanz, man kann sie selbstverständlich wie alle anderen Einkommensarten auch behandeln.

Mit der Steuer scheint auch der Focus auf Kriegsfuß zu stehen. Er schreibt, Habeck habe vorgeschlagen, „Einkommen durch Kapitalertragssteuer sozialversicherungspflichtig zu machen“. Echt? Man könnte natürlich durch eine höhere Kapitalertragssteuer einen höheren Steuerzuschuss zur Krankenversicherung refinanzieren und so die versicherungsfremden Leistungen besser ausgleichen, aber durch eine Steuer Kapitaleinkommen sozialversicherungspflichtig machen? Wie geht das denn? Das ist multipel daneben, Steuern sind nicht zweckgebunden und das Steuerrecht erzeugt auch keine Sozialversicherungspflicht.

Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger meint zu wissen, der Vorschlag belaste besonders die „Mittelschicht“, wobei nicht Merz und seine Mittelschicht gemeint ist: “Millionäre und Milliardäre würde dies nicht treffen, da die Krankenversicherungsbeiträge eben durch die Beitragsbemessungsgrenze begrenzt sind”, so die Schutzgemeinschaft. Hier weiß man demnach ganz genau, was kommt, während am anderen Ende der Klagemauer, etwa von Caren Miosga, moniert wurde, die Grünen würden nicht erklären, wie sich das alles konkret vorstellen und es sei alles „nicht mit Zahlen hinterlegt“.

Ich bin gespannt, wie Merz nach der Wahl erklärt, wie er seine Ideen finanzieren will. Trump hat gerade viel Geld mit seiner eigenen Kryptowährung gemacht. Vielleicht klappt es ja auch mit einem Friedrich-Merz-Taler, und bei der Finanzierung der Krankenversicherung hilft gewiss inständiges Gesundbeten. Oder eine von Lauterbachs Nobelpreisideen.

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