Marcel Fratzscher: „Deutschland und Europa sind schlechtestmöglich vorbereitet auf Trump“

Topökonom Marcel Fratzscher sieht der zweiten Amtszeit von Donald Trump mit Sorge entgegen. Deutschland sei miserabel vorbereitet. Weder die Bundesregierung noch die EU hätten eine Strategie gegen die Bedrohung 

Jan 19, 2025 - 14:03
Marcel Fratzscher: „Deutschland und Europa sind schlechtestmöglich vorbereitet auf Trump“

Topökonom Marcel Fratzscher sieht der zweiten Amtszeit von Donald Trump mit Sorge entgegen. Deutschland sei miserabel vorbereitet. Weder die Bundesregierung noch die EU hätten eine Strategie gegen die Bedrohung 

Am Montag wird Donald Trump zum zweiten Mal als US-Präsident vereidigt. Die Welt ist gespannt, was dann passiert – wie blicken Sie auf diesen Tag?
MARCEL FRATZSCHER: Meine Hoffnung ist, dass Donald Trump nicht alles umsetzen wird, was er androht – in Bezug auf Kanada, den Panamakanal, Grönland, die Handelskonflikte. Dass er Maß und Mitte findet. Wir müssen uns sicherlich warm anziehen. Deutschland wird vor allem bei den wirtschaftlichen Konflikten stark getroffen werden. Aber erst mal sehe ich mit Sorge, dass wir eine andere Welt erleben werden, in der das wichtigste Land der Welt, der mächtigste Mensch, eine Agenda hat, die nicht auf Kooperation und Konsens aus ist.

Welche größten Gefahren drohen der deutschen Wirtschaft?
Der Handelskonflikt, die Strafzölle, die Donald Trump angekündigt hat – 20 Prozent, vielleicht mehr, vielleicht weniger. Und der Versuch, deutsche, europäische Unternehmen in die USA zu locken. Dadurch würde vor allem die Industrie noch mal härter getroffen werden, als sie es ohnehin schon ist. Das könnte einen stärkeren Abbau von Arbeitsplätzen in der Industrie verursachen, aber auch für die Konsumentinnen und Konsumenten deutlich höhere Preise, also eine höhere Inflation und damit bedeutend weniger Kaufkraft, weniger Wohlstand. Es dürfte vor allem Menschen mit niedrigeren Einkommen hart treffen.

NL Die WocheWie gut ist Deutschland darauf vorbereitet? Nach Trumps Wahlsieg forderten deutsche Ökonomen unter anderem eine stärkere Binnenwirtschaft sowie Gegenmaßnahmen für angedrohte Zölle vorzubereiten, um auf Augenhöhe mit Trump verhandeln zu können. Passiert scheint bisher wenig.
Deutschland ist miserabel vorbereitet. Denn mindestens seit einem halben Jahr betreiben wir eine Nabelschau, auch im Wahlkampf geht es nur um uns. Es geht nicht darum, wie wir uns global aufstellen wollen, wie wir Europa stärken können. Das ist dringend notwendig, um ein Mindestmaß an Schutz vor Donald Trump zu haben. Ich sehe keine Strategie der Bundesregierung, aber auch der Europäischen Kommission, wie man auf diese Bedrohung reagieren will. Stattdessen sehe ich eine große Spaltung Europas. Ich befürchte, dass Europa sich hier auseinanderdividieren lässt. Dass wir Deutschen durch unser Wirtschaftsmodell so stark von Exporten abhängig sind, macht uns dabei besonders verwundbar. Wir brauchen in Europa einen gemeinsamen Ansatz, und der fehlt. Deshalb sehe ich Deutschland und Europa schlechtestmöglich vorbereitet auf Trumps zweite Amtszeit. Obwohl man nun wirklich genug Zeit hatte, sich detailliert vorzubereiten.

Was sollte die neue Bundesregierung Trump entgegensetzen?
Deutschland ist ein kleines Land im Vergleich zu den USA. Wir werden in diesem Konflikt den Kürzeren ziehen, wenn es uns nicht gelingt, in Europa mit einer Stimme zu sprechen. Handelspolitik ist eine europäische Kompetenz. Hier müssen vor allem Deutschland und Frankreich vorangehen. Die große Frage ist: Wie weit gibt man nach und lässt Donald Trump seine Zölle erheben? Und wann reagiert man? Bietet man Trump also einen Sieg an, um die Kosten kurzfristig zu begrenzen? Oder hält man dagegen und versucht ihn zu überzeugen, dass Europa ein ebenbürtiger wirtschaftlicher Partner, aber auch Widersacher ist? Erhebt man gezielt Strafzölle auf amerikanische Produkte, um ihn von einer Eskalation abzuhalten? Diese strategische Frage bleibt ungelöst, genauso wie die Frage bei den Verteidigungsausgaben. Da wird eine neue Bundesregierung eine 180-Grad-Wende hinlegen müssen, wir brauchen deutlich mehr Geld für Verteidigung.

Europa muss gegenhalten. Denn die Erfahrung mit Donald Trump zeigt: Wenn man klein beigibt, wird er immer weitermachen. Der beste Weg, eine Eskalation zu stoppen, ist ein kluges Gegenhalten. Das heißt nicht, dass man stärker gegen die USA vorgeht als umgekehrt. Aber dass man sich bestimmte Produkte, Regionen und Politiker aussucht, die von Gegensanktionen hart getroffen wären. Was wir nicht brauchen in Europa, ist ein Flickenteppich, wo jeder nationale Politik macht. Das wird scheitern. Auch wir Deutschen sitzen hier an einem sehr kurzen Hebel und zahlen mit den höchsten Preis, weil wir eben diese große Offenheit unserer Wirtschaft haben, die große Abhängigkeit auch vom Handel mit den USA.

Brauchen wir ein neues Wirtschaftsmodell statt unseres exportorientierten Wachstumsmodells?
Nein, das Wirtschaftsmodell ist hervorragend. In guten Zeiten. Und das wird auch in Zukunft so sein. Nur brauchen wir dafür eben mehr als alle anderen Europäer ein starkes Europa. Wir brauchen einen starken, großen Binnenmarkt, der wirklich funktioniert. Und wir brauchen mehr denn je eine einheitliche Wirtschafts-, Industrie-, Energie- und auch Finanzpolitik in Europa. Wenn wir Deutschen weiter die Vorteile dieses Wirtschaftsmodells nutzen wollen, brauchen wir mehr europäische Integration und nicht mehr Nationalismus in Deutschland.Partner: Wie viel Rente gibt es nach der Scheidung der Ehe? - Capital.de

Wie ließe sich die deutsche Wirtschaft noch stärken, um für einen Handelskrieg gewappnet zu sein?
Wir brauchen deutlich mehr Geld für Investitionen. Wenn ein solcher Handelskonflikt Deutschland trifft, muss auch die deutsche Politik dagegenhalten und die deutsche Wirtschaft stärker unterstützen. Es braucht eine andere Finanzpolitik, dann ist man wieder bei der Frage: Wenn wir keine Schulden machen dürfen, wie sollen wir uns dann wehren können?

Wir sehen zwar in unserer Konjunkturprognose noch ein leichtes Wachstum von 0,2 Prozent für 2025, aber die Wahrscheinlichkeit einer Rezession ist erheblich und nimmt zu. Es wird, wie gesagt, die Industrie besonders hart treffen und die Konsumentinnen und Konsumenten, vor allem Menschen mit geringem Einkommen, wenn die Preise wieder steigen. Es mag auch positive Überraschungen geben, aber wir werden uns auf ein sehr schwieriges Jahr einrichten müssen, gerade wegen der globalen Faktoren. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir in Deutschland eine Kehrtwende in der Finanz- und Wirtschaftspolitik machen. Dass also auch die Politik Geld in die Hand nimmt, um die Wirtschaft zu stützen und Schlimmeres zu verhindern.

Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen. Das Nachrichtenportal gehört wie Capital zu RTL Deutschland.