Bauernproteste: "Landgrabbing passiert auch bei uns"
Gärtnerin Antje Hollander war dabei, als zur Grünen Woche wieder Landwirte demonstriert haben. Sie beklagen nicht nur die hohen Lebensmittelpreise – der Boden selbst geht ihnen aus
Gärtnerin Antje Hollander war dabei, als zur Grünen Woche wieder Landwirte demonstriert haben. Sie beklagen nicht nur die hohen Lebensmittelpreise – der Boden selbst geht ihnen aus
GEO: Die großen Bauernproteste sind ein gutes Jahr her. Wie war es, dabei zu sein?
Antje Hollander: Ich blicke mit gemischten Gefühlen zurück. Für uns Landwirte und Landwirtinnen war es sehr ermächtigend zu sehen: Die Menschen interessieren sich dafür, wie ihre Lebensmittel produziert werden. Und wie es den Leuten geht, die ihr Essen auf den Teller bringen. Unsere Stimme gelangt oft gar nicht so weit. Aber wir haben auch viele sehr rechte Äußerungen beim Protest miterleben müssen.
Später wurde aufgedeckt: Die Proteste waren zum Teil von Lobbyisten organisiert, von Viktor Orbáns Ungarn gesponsert und von Rechten unterwandert.
Viele rechtsextreme Gruppierungen haben versucht, die Proteste für sich zu instrumentalisieren, europaweit und auch aus Deutschland, wie der "Dritte Weg". Die Proteste wurden aber nicht einfach nur unterwandert. Wo es auf dem Land große Infrastrukturprobleme gibt, haben es rechte Akteure leichter. Es gab Landwirte mit solchen Positionen auf den Protesten – wer Gewaltgebärden auf einer Demo zeigt, der vertritt das auch. Da kann man sich nicht dahinter verstecken, dass jemand anders die Strippen gezogen hat. Ich finde auch, dass der Bauernverband sich zu spät davon distanziert hat.
Was ist nach dem Protest passiert?
Das war eine richtige Welle des Protests und so ein wichtiger Moment für die Bauern und Bäuerinnen, die um ihre Existenz kämpften. Deshalb ist es umso trauriger, dass die Konsequenzen daraus den kleinen Landwirten eigentlich gar nicht zugutekommen. Im Gegenteil: Wir haben sogar einen ökologischen und sozialen Backlash erlebt.
Wie das?
Der Green Deal der EU, der die Landwirtschaft ökologischer und sozialer machen soll, hat harte Schläge erlitten und ist zum Teil sogar gekippt worden. Zum Beispiel wurde die Flächenstilllegung gestrichen, die eine Überproduktion verhindern soll – weil das die Bürokratie reduzieren und das Leben leichter machen würde. Und Deutschland hat es nicht geschafft, für gesicherte Preise im Milchsektor zu sorgen. Auch das Düngemittelgesetz, das die Nitratüberlastung verringern und die Gewässer entlasten könnte, wird gerade rückabgewickelt. Und das eigentliche Problem – dass wir Landwirtinnen von unserer Arbeit leben können müssen, – daran hat sich kaum etwas geändert. Die Politik ist gar nicht auf die Vorschläge eingegangen, die dazu auf dem Tisch liegen.
Zum Auftakt der Grünen Woche sind am Wochenende wieder Bauern und Bäuerinnen der auf die Straße gegangen. Waren wieder Rechte dabei?
Die "Wir haben es satt!"-Demo vom Wochenende unterscheidet sich von den Protesten, die wir Anfang letzten Jahres erlebt haben. Dort traten viele unterschiedliche Verbände aus dem Berufsstand auf, mit verschiedenen Hintergründen. Die "Wir haben es satt!"-Demo ist sehr progressiv, und die Akteure leisten diese Arbeit schon seit Jahrzehnen. Sie soll unsere landwirtschaftlichen Interessen unter die Verbraucher tragen und dafür sorgen, dass Naturschutz und Landwirtschaft nicht als Gegensatz betrachtet werden.
Was fordern Sie dort?
Zum Beispiel, dass EU-Subventionen nicht maßgeblich nach Fläche vergeben werden, sondern dass die Vergabe viel stärker an ökologische Leistungen der Betriebe gebunden sein muss. Und faire Preise. Etwa 85 Prozent des deutschen Lebensmittelmarktes werden von nur vier Supermarktketten kontrolliert. Das bedeutet ein extremes Markenmonopol im Einzelhandel. In den letzten drei Jahren sind Lebensmittel fast ein Drittel teurer geworden. Da müssen sich viele am Ende des Monats überlegen, ob sie sich gesundes Essen leisten können oder ihre Miete bezahlen. Und gleichzeitig bilden sich diese Preissteigerungen nicht in den Erzeugerpreisen ab. Die Bruttowertschöpfung liegt im Lebensmittelbereich bei etwa 15 Prozent. Der große Batzen dazwischen – zwischen den Menschen, die sich kaum Lebensmittel leisten können, und denen, die kaum von ihrer Arbeit leben können –, landet in den Supermarktkassen.
Sie sprechen auch von Landgrabbing in Deutschland – was wir vor allem als Problem im globalen Süden kennen.
Landgrabbing existiert auch bei uns, und das ist total bitter. Boden ist hier ein schützenswertes Gut, das dem Gemeinwohl zugutekommen muss und nicht auf dem freien Markt gehandelt werden darf. Deshalb gibt es für Ackerland gesetzlich ein Vorkaufsrecht für Landwirte. Doch da klaffen Gesetzeslücken, sodass Land immer häufiger in den Händen von nichtlandwirtschaftlichen Investoren landet. Wir erleben insbesondere seit der Finanzkrise, dass Land als sicheres Anlageobjekt genutzt wird. Schließlich ist Boden nicht vermehrbar, und gerade fruchtbarer Boden wird weniger. Ein Riesenproblem.
Wie gelingt den Investoren das?
Mit sogenannten Share-Deals, die es auch in anderen Wirtschaftszweigen gibt. Im Prinzip funktioniert das so: Möchte ein nichtlandwirtschaftlicher Investor Boden haben, kauft er stattdessen Anteile eines Agrarbetriebs, die müssen nur weniger als 90 Prozent betragen. So kann er das Vorkaufsrecht der Landwirtinnen umgehen. Um dem noch eins drauf zu setzen, spart er sich nebenbei die Grunderwerbsteuer. Schließlich kauft er einen Betrieb und nicht direkt das Land.
Mit welchen Folgen?
Die Kaufpreise für Boden sind in den letzten zehn Jahren um 100, teilweise um 300 Prozent gestiegen. In Baden-Württemberg kostet ein Hektar Ackerland mittlerweile schon mal 80.000 Euro. Das sind Preise, die können wir mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen überhaupt nicht mehr erwirtschaften. Wenn ich mir aber kein eigenes Land leisten kann und deswegen pachten muss, kann sich der Besitzer aussuchen, wer da wirtschaftet – und verpachtet natürlich an den Höchstbietenden.
Wer ist die Konkurrenz?
Es gibt viel Bedarf an Energieproduktion. Und die findet auf Boden statt: als Windräder und Solaranlagen. Wir wollen auch immer mehr Biomasse für Biogas produzieren, vor allem Mais – auch das passiert auf dem Boden. Wir wollen die Klimaziele einhalten und Wälder pflanzen, dafür brauchen wir ebenfalls Boden. Für Landwirte ist Boden ein extrem sensibles Ökosystem, das wir über Jahrzehnte aufbauen und pflegen. Das abgeben zu müssen, ist oft dramatisch.
Eine doppelte Belastung: Eigenes Land ist unerschwinglich, die Pachten sind teuer.
Genau. Weniger als 40 Prozent der Landwirtinnen arbeiten überhaupt noch auf eigenem Land. Da sind wir dann beim nächsten Problem: Die Abhängigkeit von den großen Playern wächst. Bei der jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft ernennen wir den Landgrabber des Jahres: 2024 war es Denree, der größte Lebensmitteleinzelhändler im Biobereich, der eine Agrargenossenschaft mit 1200 Hektar aufgekauft hat und jetzt insgesamt 6100 Hektar bewirtschaftet. Denree kontrolliert damit das Land, auf dem die Lebensmittel produziert werden – und diktiert gleichzeitig die Preise für die Produkte.
Daran hat eine grüne Partei in der Regierung nicht viel geändert.
Das kann man nicht auf die aktuelle Bundesregierung schieben. Jahrzehnte verfehlter Politik haben die Agrarstruktur dazu gemacht, wie sie aktuell ist: Betriebe müssen immer größer werden, wenn sie mithalten wollen. Die kleineren gehen in den Nebenerwerb oder müssen ganz schließen. Leider erlebe ich gerade ein rückläufiges Interesse für landwirtschaftliche Themen. Die Menschen sind mit der Bundestagswahl beschäftigt. Ich würde mir wünschen, dass viele dabei auf die sozialen Fragen schauen. Zum Beispiel: Kann ich mir die Lebensmittel leisten, die ich gerne essen will? Denn das hängt mit Agrarpolitik zusammen. Am Ende tragen wir alle dieselben Kämpfe aus: In den Städten steigen die Mieten, bei uns steigt die Pacht. Für eine stabile Demokratie ist es absolut wichtig, dass Stadt und Land mehr an einem Strang ziehen.
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