Neurowissenschaft: Warum Einsamkeit das Gehirn altern lässt – und wodurch es verjüngt wird
Soziale Kontakte halten das Gehirn jung, Einsamkeit hingegen lässt es schneller altern. Was Forschende über den Einfluss von Freundschaft und Kontakt auf das Gehirn wissen
Soziale Kontakte halten das Gehirn jung, Einsamkeit hingegen lässt es schneller altern. Was Forschende über den Einfluss von Freundschaft und Kontakt auf das Gehirn wissen
Es ist so still, dass das Ticken der Uhr laut wirkt, die Geräusche des Wohnhauses und der anderen Mieter sind die einzigen Laute, die in der Stille erklingen. Manchmal, nach einer hektischen Arbeitswoche, kann eine solche Ruhe erholsam sein. Doch wenn Einsamkeit, die förmlich von den Wänden zurück hallt, lang anhält, fühlt sie sich quälend an. Und sie kann sogar die neuronalen Strukturen des Gehirns ungünstig verändern, ja dieses schneller altern lassen.
Das haben Forschende der Universität Leipzig in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in einer Längsschnittstudie mit rund 2000 Teilnehmenden herausgefunden. Die Forschenden interessierten sich für zentrale Merkmale des Gehirns und des kognitiven Alterns in Korrelation zur Fülle oder dem Mangel an sozialen Kontakten. Sie wollten näher ergründen, wie sich soziale Isolation auf das Gedächtnis, die Aufmerksamkeit und die Gehirnstruktur auswirkt. Neben der Befragung der Teilnehmenden zu Beginn der Studie, zwischendurch und nach der Studiendauer von sechs Jahren wurden regelmäßige Gehirnscans mit dem MRT durchgeführt.
Älteres Gehirn durch weniger Kontakte
Die Teilnehmenden zwischen 50 und 82 Jahren gaben eingangs zu ihren sozialen Kontakten Auskunft. Über den Studienzeitraum wurden immer wieder Gedächtnis- und Aufmerksamkeitstests mit den Probanden und Probandinnen durchgeführt. Dabei wurde auch ihre geistige Flexibilität getestet, also das Vermögen, sich kognitiv, emotional und motorisch an neue Gegebenheiten und Situationen anzupassen.
Das Ergebnis: Jene Studienteilnehmenden über 50 Jahren, die zu Beginn wenig soziale Kontakte aufwiesen und bei denen die Kontaktarmut auch am Ende der Studie anhielt, wiesen eine stärkere Reduktion der grauen Hirnsubstanz im Laufe der sechs Jahre auf als Probanden mit einer höheren Zahl an Kontakten. Der Abbau der grauen Substanz zeigte sich insbesondere im Bereich des Hippocampus und der Hirnrinde.
Der Hippocampus ist Forschenden zufolge als Brennpunkt altersbedingter Abbauprozesse bekannt und eine Region, in der sich strukturelle Veränderungen einer Alzheimer-Demenz früh abzeichnen können. Allgemein ist die Hirnregion für Gedächtnisleistungen und Lernprozesse zuständig. Gerade das Lernen von neuen Inhalten, etwa einer Sprache oder eines Instrumentes, halten das Gehirn jung. Die Hirnrinde wiederum ist für kognitive Funktionen wie Sprache, Entscheidungsfindungen und spontane Motorik zuständig.
Einsamkeit könnte Demenz begünstigen
Einsamkeit lässt das Gehirn jedoch nicht nur schneller altern und schadet der Gedächtnisleistung: Soziale Isolation könne auch eine spätere Alzheimer-Demenz begünstigen, folgern die Forschenden. Die Studienergebnisse der Leipziger Hirnforschenden werden von den Erkenntnissen der Neurowissenschaftler generell gestützt. Der menschliche Geist sei, so sind sich die Experten und Expertinnen sicher, auf Anregung, Neues und ein beständiges Gefordertsein angewiesen. Die Gesellschaft anderer Menschen bietet andauernden Input und fordert den Geist: In sozialen Situationen etwa müssen Gesprächsteilnehmer beständig die Mimik und Gestik, die Gedanken und die Befindlichkeiten der anderen interpretieren, wodurch das Hirn rege und beschäftigt bleibt.
Auch die Gesprächsinhalte können mental herausfordern und das ältere Gehirn mit neuen Perspektiven und Inhalten bereichern. Hirnforscher betonen, dass es für das betagte und oft etwas eingefahrene Gehirn wie eine Frischzellenkur wirken kann, sich auch mit jüngeren Generationen zu beschäftigen. Die Neugier und Begeisterung etwa von Kindern wirken auf ältere Menschen mitunter erfrischend. Die Berührung mit anderen Sichtweisen kann wiederum helfen, geistig nicht festzufahren und mental nicht zu erstarren. Ein gesundes Gehirn will auf die rechte Weise, nämliches durch Neues und durch Lernerfahrungen gefördert werden.
Im GEO-Interview empfiehlt etwa der verstorbene Bremer Hirnforscher Gerhard Roth als Strategie zur Jungerhaltung des Gehirns, dieses beständig so zu fordern, dass es wehtut. Folglich rät er dringend von einem frühen Renteneintritt ab. Der beste Schutz vor einer drohenden Altersdemenz sei eine jahrzehntelang anstrengende geistige Tätigkeit, kombiniert mit regelmäßiger Bewegung.
Wer lange Zeit ohne den Input von sozialen Kontakten lebt, droht dies anhand einer atrophierten Gehirnstruktur und ihren Wirkungen als geistigen, motorischen oder auch sprachlichen Verfall zu bemerken. Vor allem die Plastizität des Gehirns leidet dann. Experten verstehen unter dieser neuronalen Plastizität die Fähigkeit, sich an Gegebenheiten flexibel anzupassen. Der Fähigkeit liegt vor allem das Vermögen des Gehirns zugrunde, sich umzuverdrahten und auch im Alter noch neue Verknüpfungen auszubilden.
Der Kontakt zu anderen Menschen hat aber noch eine weitere günstige Auswirkung auf das Gehirn: Durch das Zusammensein mit anderen erhöht sich die Ausschüttung des Hormons Oxytocin. Von diesem ist inzwischen bekannt, dass es äußerst heilsame Wirkungen auf das Gehirn hat. Es reduziert Stress, der das Gehirn schädigen kann. Gleichzeitig erhöht es Wohlbefinden und Motivation.
Bewegung und soziale Interaktion kombinieren
Während Einsamkeit das Gehirn also schneller altern lässt, halten Freunde und soziale Interaktionen es länger jung. Die Leipziger Forschenden deuten in ihrem Paper die Möglichkeit an, das Demenzrisiko durch die Förderung sozialer Netzwerke zu verringern.
Wer nun die negativen Wirkungen der Einsamkeit abmildern möchte, der könnte in einem Hobby oder durch ein Ehrenamt wertvollen Kontakt zu anderen Menschen finden, die auch das Gehirn länger rege halten und beschäftigen. Empfehlenswert für das Gehirn ist es Experten zufolge auch, wenn sich mehrere Aspekte verbinden lassen, etwa eine soziale Begegnung mit Bewegung verbunden wird. Eine Sportart in der Gruppe kann also den Geist regelrecht beflügeln und vor der Alterung bewahren.